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Was können Menschen vom Bewusstsein wissen?

    Gottfried Wilhelm Leibniz beschreibt in der Monadologie folgendes Gedankenexperiment: Auch wenn wir ein denkendes System so vergrößern könnten, dass wir in ihm herumlaufen und es studieren könnten wie eine Windmühle, würden wir das Wahrnehmen, Denken und Fühlen so dennoch nicht verstehen.

    Emil du Bois-Reymond behauptete in seiner Ignorabimus-Rede, Menschen würden niemals verstehen, wie aus Materie und Energie Gedanken entstehen.

    Karl Popper sprach daher vom Schuldscheinmaterialismus, der die fehlende Erklärung immer weiter in die Zukunft verschiebt.

    Gamma & Metzinger (2021) haben eine umfangreiche Studie im Rahmen des internationalen „Minimal Phenomenal Experience Project“ zum Erleben des reinen Bewusstseins durchgeführt, wobei diese Form des Bewusstseins vor allem Meditierende wahrnehmen können sollten. Ein solcher Bewusstseinszustand kann zwar unterschiedlich erlebt werden, dennoch existieren entsprechende sehr spezifische Empfindungen. Darüber hinaus gibt es auch Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, die als solche unspezifisch sind und lediglich begleitend auftreten können. Für diese Studie wurde ein Online-Fragebogen mit mehr als hundert Fragen entworfen und tausenden Meditierenden weltweit vorgelegt. Ziel war aber nicht, mehr über Meditation zu erfahren, sondern vielmehr über das menschliche Bewusstsein, denn man vermutete, dass das reine Bewusstsein die einfachste Form des bewussten Erlebens ist und daraus ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins entwickelt werden könnte. Der Fragebogen in den fünf Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch wurde im vergangenen Jahr von rund 3600 Meditierenden ausgefüllt, wobei neben Fragen nach Informationen zu den TeilnehmerInnen auch Fragen zum Erleben von reinem Bewusstsein oder reinem Gewahrsein gestellt wurden. Eine Faktorenanalyse der Daten erbrachte zwölf Faktoren, mit denen sich das reine Bewusstsein beschreiben lässt. Typisch für das reine Bewusstsein scheint demnach etwa ein Empfinden von Stille, Klarheit und eines wachen Gewahrseins ohne Ich-Gefühl zu sein. Eher unspezifisch war dabei das Erleben von Zeit, Anstrengung oder Verlangen, das durchaus begleitend auftreten konnte. Nun versucht man, mit diesen zwölf Faktoren prototypisch ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins zu entwickeln, wobei man annimmt, dass reines Bewusstsein auch in anderen Situationen erlebt werden kann, etwa bei Unfällen, bei schweren Krankheiten, im Grenzbereich zwischen Schlafen und Wachen oder auch beim versunkenen Spielen als Kind.

    Thomas Nagel: Würde ein Wissenschaftler unsere Schädeldecke entfernen und in unser Gehirn hineinsehen, während wir den Scholadenriegel essen, so würde er nichts weiter sehen als eine graue Masse von Nervenzellen. Würde er mit Meßinstrumenten bestimmen, was dort vor sich geht, so würde er komplizierte physikalische Vorgänge der unterschiedlichsten Art entdecken. Fände er jedoch den Geschmack von Schokolade? … Es handelt sich nicht bloß darum, daß der Geschmack von Schokolade ein Geschmack ist und daher nicht gesehen werden kann.
    Angenommen ein Wissenschaftler wäre verrückt genug, den Versuch zu wagen, meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten, indem er an meinem Gehirn leckte, während ich von einem Schokoladenriegel koste. Zunächst einmal würde mein Gehirn für ihn vermutlich nicht nach Schokolade schmecken. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, es wäre ihm nicht gelungen, in mein Bewusstsein einzudringen und meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten. (…) Er hätte seinen Geschmack von Schokolade und ich den meinen.
    Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie

    Nach Wolfgang Prinz (2021), einst Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, entstehen Subjektivität und Bewusstsein durch soziale Spiegelprozesse, denn Menschen werden dadurch zu bewusst wahrnehmenden und denkenden Subjekten, indem sie sich zu eigen machen, was sie anderen zuschreiben, und dass sie wahrnehmen, was andere ihnen zuschreiben. Subjektivität und Bewusstsein hängen also von sozialen Praktiken und Diskursen ab und werden durch sie geformt wird. Repräsentiert wird in diesen Prozesen also nicht nur das, was ein Individuum über die Welt weiß, sondern gleichzeitig immer auch, von wem und in welcher Form dieses Wissen besessen wird, was aber nicht nur die Grundvoraussetzung für bewusstes Erleben darstellt, sondern auch erst zwischenmenschliche Interaktionen und Kommunikation ermöglicht.

    Literatur

    Gamma, A. & Metzinger, T. (2021). The Minimal Phenomenal Experience questionnaire (MPE-92M): Towards a phenomenological profile of “pure awareness” experiences in meditators. PLoS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0253694.
    Prinz, Wolfgang (2021). Bewusstsein erklären. Berlin: Suhrkamp.