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Beeinflusst die Muttersprache die Akzentuierung bei Fremdsprachen?

    Wenn eine Fremdsprache gesprochen wird, können Nicht-Muttersprachler typischerweise leicht durch ihren Akzent identifiziert werden, doch welche Aspekte ihres Sprachsignals solche Akzente bestimmen, ist weitgehend unklar. Sprechpausen kommen in allen Sprachen vor, können aber dennoch in verschiedenen Sprachen in Bezug auf ihre Dauer, Anzahl oder Positionen im Sprechstrom variieren und sind daher ein möglicher Indikator für die Produktion von Fremdsprachen. Ziel einer Studie von Matzinger et al. (2020) war es daher, zu untersuchen, ob Nicht-Muttersprachler mit einem fremden Akzent pausieren. Dazu wurden englische Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler des Deutschen oder des Serbokroatischen mit gutem Englisch beim Vorlesen eines englischen Textes in drei verschiedenen Sprechgeschwindigkeiten aufgezeichnt und analysierte deren Sprachproduktion in Bezug auf Anzahl, Dauer und Ort der Pausen. Insgesamt wurden alle nicht-muttersprachlichen Sprecher von den muttersprachlichen Bewertern als nicht-muttersprachliche Akzente identifiziert, aber muttersprachliche und nicht-muttersprachliche Sprecher machten ähnlich lange Pausen und hatten ähnliche Verhältnisse der Pausenzeit im Vergleich zur Gesamtsprachzeit. Außerdem änderten alle Sprecher ihr Pausenverhalten bei unterschiedlichen Sprechgeschwindigkeiten in ähnlicher Weise. Der einzige deutliche Unterschied zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern war, dass letztere mehr Pausen machten als die Muttersprachler. Insgesamt trugen die Pausenmuster also wenig zu den akustischen Merkmalen der nicht-muttersprachlichen Akzente der Sprecher beim Vorlesen bei. Nicht-muttersprachliche Pausenmuster könnten leichter erworben werden als andere Aspekte der Aussprache, weil Pausen wahrnehmbar sind und die Produktion von Pausen einfach ist. Alternativ könnten allgemeine kognitive Verarbeitungsmechanismen wie Aufmerksamkeit, Planung oder Gedächtnis das Pausenverhalten einschränken, so dass Sprecher ihre muttersprachlichen Pausenmuster ohne signifikante Abweichung auf eine zweite Sprache übertragen können. Die AutorInnen kommen zu dem Schluss, dass Pausen einen relativ geringen Beitrag zu den akustischen Merkmalen von nicht-muttersprachlichen Akzenten leisten, denn Menschen, die eine Zweitsprache sprechen, setzen ihre Sprechpausen in dieser ähnlich wie Muttersprachler. Die richtige Pausensetzung lernen sie offenbar leichter als spezifische Laute wie etwa das herausfordernde englische „th“.

    In einer weiteren Studie (Matzinger et al., under review) ließ man die ProbandInnen dem Klang dreisilbiger erfundener Worte wie „Batuki“ oder „Punido“ in unterschiedlicher Betonung lauschen, wobei lang betonte Silben hier eher als Wortende interpretiert wurden, und das von Menschen mit Erstsprache Deutsch, in der eigentlich viele Worte auf der mittleren Silbe betont und dadurch an dieser Stelle etwas verlängert werden. Dieses Phänomen scheint sprachuniversal zu sein, denn es zeigte sich, dass im Gegensatz dazu kurze letzte Silben dafür sorgen, dass die ProbandInnen ganz andere Wörter heraushören. Auch die Tonhöhe spielte nur eine kleine Rolle, obwohl man am Satzende meist mit der Stimme tiefer geht. ProbandInnen bewerteten übrigens jene Kunstwörter mit verlängerter letzter Silbe als ästhetischer, und zwar im Vergleich zu Wörtern, deren letzte Silbe verkürzt ist. Womöglich lassen sich die langen Silben am Wortende kognitiv leichter verarbeiten und setzten sich deshalb im Laufe der Zeit und des Sprachwandels stärker durch.

    Literatur

    Matzinger, T., Ritt, N. & Fitch, W. T. (under review). The influence of different prosodic cues on word segmentation.
    Matzinger, Theresa, Ritt, Nikolaus & Fitch, W. Tecumseh (2020). Non-native speaker pause patterns closely correspond to those of native speakers at different speech rates. Public Library of Science, 15, doi:10.1371/journal.pone.0230710.
    Der Standard vom 18. Juli 2021.