Wolf-Dieter Roth hat in TELEPOLIS schon vor über zehn Jahren auf die Stärken und Tücken des elektronischen Briefverkehrs unter dem Titel „Psychologie der E-Mail“ hingewiesen. Einige Punkte darin sind heute wohl etwas überholt, denn damals war die Email noch die Ausnahme im beruflichen Schriftverkehr, während sie heute dominiert. Unter anderem heißt es, dass E-Mail höflicher ist als ein Anruf, „auch wenn sie für den nur normal tippfähigen Absender zunächst einmal mehr Arbeit darstellt, als den anderen einfach mit halbfertigen Gedanken am Telefon zu behelligen. Dies relativiert sich allerdings dadurch, dass der Vorgang mit dem Absenden der E-Mail zunächst einmal erledigt ist – sofern der andere sie auch lesen wird, versteht sich – während man durchaus Stunden damit zubringen kann, einem vielbeschäftigten Menschen auch für eine einfache Frage hinterherzutelefonieren.“
Besonders hervorzuheben sind aber einige Punkte, die die psychologische Komponente dieser Kommunikationsform betreffen: „E-Mail ist ein Dialog ohne Körpermimik und nicht in Echtzeit. (…) . Im Gegensatz zu einem persönlichen Gespräch oder auch Telefonat merkt man beim Mailen nicht rechtzeitig, wenn die Stimmung kippt. Es fehlt an der Interaktivität eines Gesprächs. Man schreibt schnell aneinander vorbei. (…) Alles, was schriftlich ist, hat zudem den Nachteil, dass es – auch wenn dies ein absoluter Verstoß gegen die Benimmregeln ist – weitergegeben werden kann. So besteht die Gefahr bei jedem Liebesbrief, dass dieser von der Angebeteten zur allgemeinen Erheiterung all ihren Freundinnen in der Schule gezeigt wird – oder dass ihre Verwandten den Packen Briefe des berühmten Autors mit ausführlichen Beschreibungen sexueller Vorlieben bei seiner langjährigen Partnerin nach ihrem Tode finden und meistbietend bei Sothebys in London versteigern lassen.“ Des weiteren heißt es: „Auch ist nicht jeder Kommunikationspartner E-Mail-tauglich. Jeder hat sein bevorzugtes Kommunikationsmedium. Der eine telefoniert lieber, weil er den menschlichen Kontakt schätzt oder sich aufplustern will, der andere hat es lieber auf Papier, um sich darin Notizen zu machen, der dritte schätzt gerade, dass ihm Mails nicht den Schreibtisch mit Papierhaufen verstopfen, wird vom Chef jedoch prompt als einer eingestuft, der nichts tut, weil er in der Zeit 30 Mails schreibt, in der der eine Kollege mit einer Kollegin aus der Nachbarabteilung eine Stunde am Telefon hängt und der andere vier seiner berüchtigten Hausmitteilungen verfasst. Wer einem E-Mail-Muffel elektronisch schreibt, der das Medium nicht mag und nicht damit umgehen kann, braucht sich nicht wundern, wenn er keine Reaktion bekommt.“ Besonders hervorgehoben werden sieben E-Mail-Sünden:
1. Übersehen und Ignorieren von Mails
2. Abstreiten, eine bestimmte E-Mail erhalten zu haben
3. Von sich auf andere zu schließen und anzunehmen, dass jeder die E-Mails liest
4. Romane statt kurzer Mails
5. Kopien ans ganze Haus
6. Grammatik- und Rechtschreibfehler, unzusammenhängende Argumente, verworrene Formulierungen
7. Im Ton vergriffen
Abschließend folgen noch einige Ratschläge: „Auch wenn es seit Jahren im Netz arbeitenden Menschen schwer fällt, sollte man sich in der Antwort an den Stil der Absendermail anpassen. Wenn diese mit „Sie“ und „Sehr geehrter Herr“ geschrieben ist, kommt „Hi“ und „Du“ in der Antwort nicht so gut. Umgekehrt sollte man auch gegenüber seinen Mailpartnern toleranter sein. Erhält man eine ärgerliche oder beleidigende E-Mail, ist es besser, nicht zurückzuflamen, sondern lieber anzurufen, um die Lage zu klären. Ebenso sollte man sich das Antworten in gereizter Stimmung verkneifen.“
Quelle
http://www.heise.de/tp/artikel/18/18553/1.html(16-09-04)