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Gendern aus linguistischer Perspektive

    Gendern kann auch unter einer linguistischen Perspektive betrachtet werden, denn es handelt sich in vielen Sprachen um eine grammatikalischen Kategorie, die Substantive in bestimmte Nominalklassen einteilt, wobei es auch Sprachen ohne derartige Nominalklassen gibt wie etwa das Türkische, das Finnische und mit gewissen Abstrichen auch das Chinesische.

    Sprachen mit solchen Nominalklassen sind die meisten indogermanischen Sprachen wie Deutsch und Französisch, die meisten semitischen Sprachen und die meisten Sprachen der hauptsächlich in Afrika gesprochenen Sprachfamilie der Bantusprachen. In der traditionellen Grammatik der indogermanischen Sprachen, die anhand der Verhältnisse im Latein und Altgriechischen entwickelt wurde, verwendet man anstelle des Ausdrucks Nominalklasse den Ausdruck Genus mit der Eindeutschung als grammatisches Geschlecht, wobei der lateinische Ausdruck eigentlich eine deutlich breitere Bedeutung hat und z. B. auch Art und Weise bedeutet, was sich auch daran zeigt, dass die grammatischen Kategorien Aktiv bzw. Passiv des Verbs als Genus verbi bezeichnet werden.

    Statt den Nominalklassen etwa einfach Nummern zu geben, wurden in der traditionellen Grammatik sprechende Bezeichnungen vergeben, die dazu führten, dass eine der drei Nominalklassen im Deutschen und Lateinischen den Namen maskulin oder männlich bekam, die zweite den Namen feminin oder weiblich. Die Bezeichnung der dritten Nominalklasse unterscheidet sich im Lateinischen und Deutschen deutlich, denn die lateinische Ausdrucksweise ist Neutrum, was nämlich nur keines von beiden bedeutet, also weder Nominalklasse eins noch Nominalklasse zwei. Die in der traditionellen deutschen Grammatik eingeführte Bezeichnung als sächlich ist also keine Übersetzung des lateinischen Neutrum, sondern stellt eine eigene, historisch gewachsene Begriffsprägung dar. Diese traditionellen Bezeichnungen der Nominalklassen stammen daher, dass einige der ihnen zugewiesenen Wörter biologisch männliche Personen (Nominalklasse 1) bzw. biologisch weibliche Personen (Nominalklasse 2) enthalten, wobei diese Zuordnung aber nicht eindeutig ist, d.h., weder im Deutschen noch im Lateinischen oder anderen indogermanischen bzw. semitischen Sprachen landen alle Bezeichnungen für biologisch männliche Personen immer in Nominalklasse 1 bzw. alle Bezeichnungen für biologisch weibliche Personen in Nominalklasse 2 und alle Nicht-Personen-Bezeichnungen in Nominalklasse 3.

    • Bezeichnungen männlicher Personen oder Lebewesen, die nicht in Nominalklasse 1 fallen: die Tunte, die Drohne
    • Bezeichnungen weiblicher Personen oder Lebewesen, die nicht in Nominalklasse 2 fallen: der Vamp, der Weisel
    • Bezeichnungen von Personen, die in Nominalklasse 3 fallen, obwohl ein biologisches Geschlecht vorhanden ist: das Mädchen, das Christkind, das Wirbeltier.
    • Daneben gibt es zahlreiche Begriffe, deren grammatisches Genus a priori keinen Rückschluss auf das biologische oder empfundene Geschlecht (Sexus bzw. Gender) zulässt, z.B. Mensch (Nominalklasse 1), Person (Nominalklasse 2) oder Mitglied (Nominalklasse 3).

    Aus dieser Perspektive wäre es vermutlich richtiger, die Begriffe „männlich“, „weiblich“ und „sächlich“ bzw. „maskulin“, „feminin“ und „Neutrum“ in der grammatischen Terminologie gar nicht mehr zu verwenden, was aber wohl nicht der gelebten Praxis der Schul- und akademischen Grammatik entspricht.

    Literatur

    Neef, Martin (2018). Das Konzept des sogenannten ‚Geschlechtergerechten Sprachgebrauchs‘ aus sprachwissenschaftlicher Sicht. In Imke Lang-Groth & Martin Neef (Hrsg.), Facetten der deutschen Sprache. Berlin: Peter Lang.