Bei einfachen Prozessen der Wahrnehmung hängen Struktur und Funktion von Gehirnregionen erblich bekanntlich zusammen, doch bei abstrakteren und komplexeren Vorgängen ist das anders, denn hier prägen Umwelteinflüsse und Lernerfahrungen die Zusammenarbeit. Die Kopplung der Funktion mit bestimmten Gehirnstrukturen nimmt hier ab, d. h., sie wird nicht vererbt und kann sich daher besonders flexibel an wechselnde Umwelt- und Kultureinflüsse anpassen. Die Struktur des Gehirns bildet dabei das Gerüst für die innere Funktion, die die Kognition und letztlich die Verhaltensflexibilität unterstützt, allerdings ist noch immer ziemlich unklar, wie eine statische, genetisch kontrollierte Architektur flexible Kognition und Verhalten unterstützt.
Valk et al. (2022) versuchen in ihrer Arbeit genetische, phylogenetische und kognitive Analysen zusammenzuführen, um zu verstehen, wie die makroskalierte Organisation der Struktur-Funktions-Kopplung in der Hirnrinde deren Rolle bei der Kognition bestimmen kann. Beim Menschen ist die Struktur-Funktions-Kopplung in Regionen des unimodalen Cortex am höchsten und im transmodalen Cortex am niedrigsten, ein Muster, das sich in einer geringeren Übereinstimmung mit vererbbaren Konnektivitätsprofilen widerspiegelt. Die Struktur-Funktions-Entkopplung bei Makaken hat zwar eine ähnliche räumliche Verteilung, aber man kann eine stärkere Kopplung zwischen Struktur und Funktion in Assoziationscortizes im Vergleich zum Menschen beobachten. Eine Meta-Analyse ergab nun, dass die Regionen mit der geringsten genetischen Kontrolle – also geringe vererbbare Korrespondenz und Unterschiede zwischen den Primaten – mit sozialer Kognition und autobiografischem Gedächtnis verbunden sind. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die genetische und evolutionäre Entkopplung von Struktur und Funktion in verschiedenen transmodalen Systemen die Entstehung komplexer Formen der Kognition unterstützt. Dass der Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion in diesen Arealen beim Menschen mehr entkoppelt ist als bei tierischen Primaten, stellt möglicherweise eine evolutionär relevante Anpassung dar, die mit typisch menschlichem Verhalten zusammenhängt.
Literatur
Valk, Sofie L., Xu, Ting, Paquola, Casey, Park, Bo-yong, Bethlehem, Richard A. I., Vos de Wael, Reinder, Royer, Jessica, Masouleh, Shahrzad Kharabian, Bayrak, Şeyma, Kochunov, Peter, Yeo, B. T. Thomas, Margulies, Daniel, Smallwood, Jonathan, Eickhoff, Simon B. & Bernhardt, Boris C. (2022). Genetic and phylogenetic uncoupling of structure and function in human transmodal cortex. Nature Communications, 13, doi:10.1038/s41467-022-29886-1.