Bei Infektionen oder Autoimmunerkrankungen verbraucht das Immunsystem für beides viel Energie, wofür es das Gehirn aktivieren muss, was langfristig zu einer Dyshomöostase mit fatalen Folgen führt. Der Energiebedarf des Menschen setzt sich aus dem Grundumsatz und dem Energieverbrauch durch körperliche Aktivität, Nahrungsaufnahme und Verdauung zusammen. Ein erwachsener Mann benötigt bei sitzender Tätigkeit ca. 2.400 kcal/Tag, ein Tour de France-Fahrer ca. 7.200 kcal/Tag und ein Sepsis-Patient ca. 3.600 kcal/Tag. Den größten Teil der Energie verbrauchen Gehirn und Rückenmark sowie die Muskulatur, deren Grundumsatz in Ruhe jeweils etwa 478 kcal pro Tag beträgt. Das Immunsystem kommt ohne Infektion oder sonstige Aktivierung mit ca. 380 kcal/Tag aus, ist es jedoch aktiviert, benötigt es mit 500 kcal/Tag mehr Energie. Die Steuerung der Energieregulation erfolgt durch die beiden voneinander unabhängigen Großverbraucher Gehirn und Immunsystem, die im Ruhezustand Energie in Fettgewebe, Leber oder Muskulatur speichern und bei Flucht oder Stress entsprechende Ressourcen im Gehirn mobilisieren.
Bei einer Verletzung, Infektion oder der Entwicklung einer Autoimmunerkrankung kommt es zu einem Konflikt zwischen Immunsystem und Gehirn, bei dem ein Antigen oder ein anderer Reiz in der Immunzelle zu Umstellungsreaktionen, Zellproliferation und einer erhöhten Produktion von proinflammatorischen Zytokinen, darunter Interleukin-6, führt. Zytokine werden als Botenstoffe im Körper ausgeschüttet und informieren das Gehirn sowohl über die Blutbahn als auch über Nervenfasern, deren Rezeptoren unter anderem auf Bakterienbestandteile, Zytokine, Noradrenalin und Hormone reagieren. Die Schmerzbahn scheint einen etwas größeren Anteil an der Weiterleitung zu haben als die Blutbahn, denn etwa 54 % der Varianz der Müdigkeit bei rheumatoider Arthritis wird durch die Schmerzintensität bestimmt, wie eine Metaanalyse ergab.
Dort, wo die Information im Gehirn ankommt, löst sie eine lokale Entzündungsreaktion aus, d.h. im Thalamus, in der Insula und im Frontalhirn werden Mikroglia aktiviert, die wiederum ihre Umgebung beeinflussen. Am Ende steht ein Krankheitsphänomen, das Sickness Behaviour, das durch Müdigkeit, Depression, Appetitlosigkeit, Kältegefühl und zahllose Folgeerscheinungen gekennzeichnet ist. Dabei ist das Sickness Behaviour vom Körper zunächst durchaus erwünscht, denn der Betroffene zieht sich zurück, sucht Ruhe und legt sich flach, so dass die vorhandene Energie dem Immunsystem überlassen wird, was bei einer kurzen Infektion durchaus sinnvoll ist. Folgen des Sickness Behaviour sind u.a. Vagushemmung, schlechte Verdauung, Cortisolanstieg, Senkung der männlichen Geschlechtshormone, Störung der Schilddrüsen- und Sexualfunktion, Lipämie, Hypertonie, Insulinresistenz, erhöhte Blutgerinnung und körperlich Osteoporose, Muskelschwund, Zunahme des Fettgewebes.
Eine wichtige Folge der akuten Aktivierung des Gehirns durch das Immunsystem ist schließlich die Insulinresistenz, die sich allerdings auf Leber, Fett- und Muskelgewebe beschränkt, während Gehirn und Immunsystem als nicht insulinabhängige Konsumenten von der peripheren Blockade der Glukoseaufnahme profitieren. Dadurch werden in 24 Stunden ca. 58 g Glukose zusätzlich gespeichert, die bei Infektionen oder Autoimmunerkrankungen durchaus benötigt werden, d.h. chronisch rheumatische Erkrankungen erhöhen den Energiebedarf um bis zu 30 %, eine Sepsis um bis zu 60 %. Auch das Gehirn kann bei erhöhtem Energiebedarf eine Insulinresistenz auslösen, allerdings über Hormone und den Sympathikus, psychischer Stress erhöht den Energieverbrauch um bis zu 30 %, Angst um bis zu 15 %.
Normalerweise ist die Aktivierung des Gehirns durch das Immunsystem kurzfristig und vorübergehend, problematisch wird es, wenn der immunologische Prozess zu lange dauert, z.B. durch Autoimmunität. Oft bleiben auch bei guter Entzündungseinstellung ZNS-Probleme wie Schlafstörungen, Krankheitsängste, psychische Belastungen und eingeschränkte Hirnleistung zurück. Diese psychischen Störungen können dadurch begünstigt werden, dass die akute Entzündung im Gehirn zu neurostrukturellen Veränderungen führen kann. Aus der Homöostase wird eine Dyshomöostase – auch Kakostase genannt. Sie ist umso ausgeprägter, je stärker die Entzündung in der Anfangsphase war, und kann dramatische Folgen haben. Bei anhaltender Kakostase droht der Verlust der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerative und psychiatrische Erkrankungen und vorzeitigem Tod.
Literatur