Erinnerungen bilden das fundamentale Gerüst der Identität und beeinflussen maßgeblich die menschliche Selbstwahrnehmung und das Verständnis der Welt (Conway & Pleydell-Pearce, 2000). Was man über sich und seine Umwelt zu wissen glaubt, basiert auf den gespeicherten Erfahrungen. Die Stabilität und Verlässlichkeit dieser Erinnerungen sind jedoch komplex, denn psychologische Studien haben wiederholt gezeigt, dass das menschliche Gedächtnis rekonstruktiv ist und somit anfällig für Verzerrungen und sogar die Bildung falscher Erinnerungen (Loftus, 2005).
Die autobiografische Erinnerung, also die Sammlung der persönlichen Lebenserfahrungen, dient als Rohmaterial für die Konstruktion der eigenen Lebensgeschichte (Habermas & Bluck, 2000), sodass man durch den Prozess des Erinnerns das Selbstbild aktiv formt und seiner Biografie eine kohärente Struktur verleiht. Diese narrativen Konstruktionen sind aber dynamisch und erfordern eine entsprechende Flexibilität des Gedächtnisses. Die neurobiologischen Grundlagen dieser Flexibilität beleuchtet daher den Umstand, dass persönliche Erinnerungen nicht isoliert gespeichert werden, sondern in weitläufige neuronale Netzwerke integriert sind. Diese Vernetzungen sind aber nicht statisch, sondern unterliegen ständigen Veränderungen, was die Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit der menschlichen Erinnerungen erklärt (Nadel & Moscovitch, 1997).
Bernecker (2008) betrachtet diese Veränderlichkeit aber nicht als Defekt, sondern als eine inhärente Funktion des Gedächtnisses, sodass Erinnern demnach immer mehr als eine passive Wiedergabe der Vergangenheit ist, also ein aktiver, kreativer Prozess. Experimente deuten auch darauf hin, dass das automatische Erweitern und Ausgestalten von Erinnerungen ein Zeichen für ein effizientes Gedächtnissystem sein kann. Dies wirft allerdings die Frage auf, ob die ständige Transformation der Erinnerungen nicht eine normale und sogar adaptive Eigenschaft unseres kognitiven Systems darstellt.
Literatur
Bernecker, S. (2008). Memory: A philosophical study. Oxford University Press.
Conway, M. A. & Pleydell-Pearce, C. W. (2000). The construction of autobiographical memories in the self-memory system. Psychological Review, 107, 261–288.
Habermas, T. & Bluck, S. (2000). Telling one’s life: Developmental perspectives on the construction of a coherent life story. Human Development, 43, 23–41.
Intraub, H. & Richardson, M. (1989). Point of view in visual memory. Cognitive Psychology, 21(1), 21–48.
Loftus, E. F. (2005). Planting misinformation in the human mind: A 30-year investigation of the malleability of memory. Learning & Memory, 12, 361–366.
Nadel, L. & Moscovitch, M. (1997). Memory consolidation, retrograde amnesia and the hippocampal complex. Current Opinion in Neurobiology, 7, 217–227.