Das Gehirn verarbeitet täglich eine immense Anzahl an Eindrücken, wobei jedoch nur ein Teil davon behalten wird. Dieser wird in Abhängigkeit von Emotionen, Aufmerksamkeit, Interesse und Vorwissen selektiert. Ohne Erinnerungen wäre eine Identitäts- oder Geschichtsbildung nicht möglich. Es existieren vier Hauptformen des Gedächtnisses: das Arbeitsgedächtnis für kurzfristige Informationen, das prozedurale Gedächtnis für Automatismen, das deklarative Gedächtnis für Fakten und Erlebnisse sowie das episodische Gedächtnis, das biografische Ereignisse speichert.
Die Entstehung von Erinnerungen wird durch die Aktivierung spezifischer Hirnregionen, insbesondere des Hippocampus, begünstigt. Mit jeder Repetition werden sogenannte Engramme, also Erinnerungsspuren, verstärkt. Es ist zu konstatieren, dass Menschen unterschiedliche Erinnerungen an gleiche Situationen entwickeln, da individuelle Faktoren wie Emotionen, Erfahrungen und Perspektiven die Wahrnehmung prägen. Intensive Emotionen fördern die Erinnerungsfähigkeit, während Gleichgültiges leichter in Vergessenheit gerät.
Erinnerungen an die frühen Lebensjahre setzen in der Regel ab dem vierten Lebensjahr ein. Früher geglaubte Erinnerungen basieren häufig auf Erzählungen oder Fotografien. Das Gehirn ist in der Lage, falsche Erinnerungen zu erzeugen, ohne dass ein bewusster Versuch zur Täuschung stattfindet. Erinnerungen sind formbar, das heißt, sie können ergänzt, überschrieben oder sogar verdrängt werden.
Das Gehirn verknüpft Erinnerungen über Assoziationen, die an ein U-Bahn-Netz erinnern, in dem die verschiedenen Bahnen durch das Gehirn miteinander verbunden sind. Im Falle fehlender Verbindungen wird die Fantasie angeregt, um diese zu ergänzen. Dieser Mechanismus gestattet zudem ein therapeutisches Umlernen, bei dem belastende Erinnerungen in einem neuen Kontext umgedeutet werden können. Das menschliche Gedächtnis ist folglich nicht objektiv, sondern flexibel und passt sich den jeweiligen Bedürfnissen sowie Entwicklungen an. In der Konsequenz wird das, was für den Menschen emotional oder persönlich von Bedeutung ist, behalten.