Der Mensch ist ständig einer Fülle an Sinnesreizen ausgesetzt – Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke oder Berührungen strömen unablässig auf ihn ein. Da das Gehirn diese enorme Informationsmenge nicht vollständig verarbeiten kann, ist es gezwungen, eine Auswahl zu treffen. Aufmerksamkeit erfüllt dabei die Funktion eines Filters: Sie blendet irrelevante Reize aus und richtet den Fokus auf ausgewählte Inhalte (Krummenacher, 2021). Diese Fähigkeit, als selektive Aufmerksamkeit bezeichnet, ermöglicht es uns etwa, trotz Lärm eine Unterhaltung zu führen oder während eines Vortrags störende Geräusche auszublenden. Selektive Aufmerksamkeit lässt sich in automatische und kontrollierte Prozesse unterteilen. Automatische Aufmerksamkeit geschieht unwillkürlich, beispielsweise wenn der eigene Name in einem lauten Raum gehört wird – ein Effekt, der als Cocktail-Party-Effekt bekannt ist. Kontrollierte Aufmerksamkeit hingegen verlangt bewusste Anstrengung, etwa das gezielte Ausblenden störender Geräusche, um ein Gespräch verfolgen zu können.
Gängige Annahmen über Aufmerksamkeit erweisen sich häufig als Mythen. So gilt Multitasking als Illusion: Menschen können Aufgaben nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander bearbeiten, was bei zu schnellem Wechsel zu Fehlern, Stress und Erschöpfung führt Ebenso wird Aufmerksamkeit oft mit Konzentration verwechselt, obwohl Ersteres die Auswahl von Reizen, Letzteres hingegen die Dauer und Intensität des Fokusses beschreibt. Auch die populäre Behauptung, Menschen hätten eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als Goldfische, entbehrt empirischer Grundlage; Aufmerksamkeit ist vielmehr kontext- und motivationsabhängig . Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Begrenztheit der Aufmerksamkeit ist das berühmte „Gorilla-Experiment“: Teilnehmende, die konzentriert Pässe zwischen Basketballspielern zählen sollten, übersahen häufig einen deutlich sichtbaren Gorilla, der durchs Bild lief. Dieses Phänomen, Unaufmerksamkeitsblindheit genannt, konnte sogar bei Radiologen nachgewiesen werden, die auf CT-Aufnahmen einen eingefügten Gorilla übersahen, obwohl er deutlich größer als die gesuchten Lungenknoten war . Ebenso tritt Veränderungsblindheit auf, wenn auffällige Änderungen in der Umgebung – etwa das Austauschen einer Person während eines Gesprächs – nicht wahrgenommen werden. Aufmerksamkeit wird besonders leicht durch neue, unerwartete oder potenziell gefährliche Reize gelenkt – eine evolutionäre Anpassung, die einst das Überleben sicherte. Heute jedoch stehen wir vor den Herausforderungen moderner Reizüberflutung, insbesondere durch digitale Medien, die unsere Wahrnehmung stark beanspruchen..Insgesamt zeigt sich, dass das Gehirn die Umwelt nicht objektiv abbildet, sondern sie funktional strukturiert, um uns handlungsfähig zu machen. Aufmerksamkeit ist dabei kein vollkommen steuerbares Instrument, sondern ein komplexer Mechanismus, der uns ermöglicht, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen – allerdings um den Preis, dass wir vieles übersehen, das unmittelbar vor unseren Augen liegt.