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Der blaue Kern im Gehirn

    Unser Gehirn ist in der Lage, innerhalb weniger Augenblicke von einem sorglosen Abdriften in einen Zustand völliger Konzentration zu wechseln. Warum übersehen wir manchmal wichtige Dinge oder warum sind wir manchmal so konzentriert, dass wir kaum ansprechbar sind? Dass unsere Aufmerksamkeit schwankt, weiß wohl jeder Mensch von sich selbst und von Menschen in seinem Umfeld. Aber was genau macht diesen Unterschied aus? Im Alltag wechseln wir ständig zwischen Unachtsamkeit und Konzentration. Auf dem Heimweg denken wir zum Beispiel darüber nach, was wir gleich essen werden oder ähnliches. Wenn aber plötzlich etwas unsere Aufmerksamkeit erregt, etwa das Hupen eines Autos, sind wir plötzlich wieder in der Gegenwart und können entsprechend auf die Situation reagieren. Was passiert im Gehirn, wenn diese Umschaltung vorgenommen wird?

    In unserem Gehirn laufen die neuronalen Aktivitäten in Zeiten der Unaufmerksamkeit in rhythmischen Schwankungen ab. Eine Hypothese besagt, dass in solchen Momenten langsame rhythmische Aktivitätsmuster mit einer Frequenz von etwa 10 Hertz auftreten. Solche Aktivitätsmuster werden als Alpha-Oszillationen bezeichnet. Es wird angenommen, dass die aktive Verarbeitung eingehender sensorischer Informationen während Alpha-Oszillationen gehemmt ist. Alpha-Oszillationen können somit als ein Filter verstanden werden, der die Empfindlichkeit des Gehirns gegenüber externen Informationen reguliert. Während der Zusammenhang zwischen dem An- und Abschwellen der Alpha-Oszillationen und der Aufmerksamkeit seit langem beobachtet wird, ist die Frage, was diese rhythmischen Aktivitätsmuster entstehen und vergehen lässt, noch offen.

    Um dies besser zu verstehen, untersuchte man den blauen Kern des Gehirns, der tief unter der Hirnrinde verborgen ist. Diese Ansammlung von Neuronen ist nur etwa 15 Millimeter groß. Trotz seiner geringen Größe verfügt der blaue Kern über ein ausgedehntes Netz von weitreichenden Nervenfasern, die mit den meisten anderen Hirnregionen verbunden sind. Zugleich ist der blaue Kern die Hauptquelle für Noradrenalin. Dieser Neurotransmitter trägt wesentlich zur Steuerung von Stress, Gedächtnis und Aufmerksamkeit bei, indem er die neuronale Kommunikation reguliert. Aufgrund seiner geringen Größe und seiner Lage tief im Hirnstamm war es bisher fast unmöglich, den noradrenergen blauen Kern am lebenden Menschen ohne chirurgischen Eingriff zu untersuchen. Tierstudien zu diesem Thema haben bereits gezeigt, dass Veränderungen der Pupillengröße mit der Aktivität des blauen Kerns zusammenhängen. In dieser Hinsicht können unsere Augen als Fenster zu einer Gehirnregion betrachtet werden, die lange Zeit unzugänglich schien. Um zu untersuchen, ob das Noradrenalin des blauen Kerns einer der Faktoren sein könnte, die die Alpha-Oszillationen regulieren, kombinierten sie Messungen der Pupillengröße und neuronaler Rhythmen. Während der Messungen mussten die Teilnehmer eine schwierige Aufmerksamkeitsaufgabe lösen.

    Wie erwartet, wurde eine Abnahme der Alpha-Oszillationen beobachtet, wenn die Pupillen erweitert waren. Außerdem waren die Teilnehmer mit stärkeren Pupillen- und Alpha-Reaktionen besser in der Lage, die Aufgabe zu lösen. Unklar blieb jedoch, wie genau Noradrenalin die Alpha-Oszillationen beeinflusst oder, anders ausgedrückt, wie der Neurotransmitter Filterfunktionen im Gehirn an- und abschaltet. Um diese Frage zu beantworten, analysierten sie erneut die Ergebnisse von Tierstudien zu diesem Thema. In einigen Studien wurde die neuronale Aktivität der Tiere direkt von Neuronen im Thalamus abgeleitet. Der Thalamus ist eine Region in der Mitte des Gehirns und gilt als ein wichtiger Taktgeber des Alpha-Rhythmus.

    Wie diese Forschung zeigt, feuern die Neuronen im Thalamus in Ruhe rhythmisch. Diese rhythmischen Feuermuster scheinen die Alpha-Oszillationen zu verursachen, die für Zeiten geringer Aufmerksamkeit charakteristisch sind. Wird jedoch der Neurotransmitter Norepinephrin zugeführt, hört das rhythmische Feuern der Neuronen abrupt auf. Durch die Kombination der Ergebnisse verschiedener Studien konnte nun beschrieben werden, wie Noradrenalin und der Thalamus bei der Steuerung der Alpha-Oszillationen zusammenwirken. Es wird nun vermutet, dass das Noradrenalin des blauen Kerns die Alphageneratoren im Thalamus blockiert und dadurch die Empfindlichkeit unseres Gehirns für relevante Informationen reguliert.






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