Inzest: Die Taten des Josef F. waren einzigartig grausam. Sexueller Missbrauch gehört aber in vielen österreichischen Familien zur eisigen Normalität.
Haus der Familie F. in Amstetten Josef F. hat seine eigene Tochter vergewaltigt, sie 24 Jahre lang in ein Verlies gesperrt und sieben Kinder mit ihr gezeugt.
Inzest hat keinen Sinn. Wenn zwei Verwandte sich fortpflanzen, erhöht sich das Risiko einer Erbkrankheit beim Nachwuchs. In den meisten Gesellschaften hat sich über die Jahrhunderte ein Tabu entwickelt, das die Sippe vor Inzest und damit vor Erbkrankheiten schützen soll. Das Problem ist nur: „Es findet sich leider oft jemand, der das Inzest-Tabu nicht verinnerlicht hat“, sagt der Psychologe Werner Stangl von der Uni Linz.
Josef F. ist ein Mann, der Tabus nicht anerkennt. Er hat seine eigene Tochter vergewaltigt, seit sie elf Jahre alt war, sie 24 Jahre lang in ein Verlies gesperrt und sieben Kinder mit ihr gezeugt. Das älteste Kind aus dieser Beziehung kämpft weiter um sein Leben. „Es spricht zumindest einiges dafür, dass ihr Zustand auf den Inzest zurückzuführen ist“, so der Grazer Humangenetiker Peter Michael Kroisel. Bestätigen wollen das die Ärzte in Amstetten nicht.
Die Tat des Josef F. ist ein Extremfall, aber sexuellen Missbrauch gibt es in vielen Familien. „Jedes sechste Mädchen und jeder neunte Bursch haben sexuelle Gewalt in der Familie erfahren“, so Charlotte Aykler, die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Niederösterreich – Dunkelziffern aus einer abgeschotteten Welt, offizielle Statistiken gibt es keine. „Das ist mit sehr, sehr viel Scham besetzt“, sagt Aykler: „Man redet einfach nicht darüber.“ Denn Inzest und sexueller Missbrauch sind auch ein Tabuthema. Das ändert sich nur sehr langsam.
Einen Hinweis darauf gibt die Kriminalstatistik: 2007 stieg die Zahl der Anzeigen wegen „schwerem sexuellem Missbrauch von Unmündigen“ um traurige 20 Prozent. Auch den Inzest kennt das Strafgesetzbuch: Paragraf 211, Blutschande. Der kommt aber so gut wie nie zur Anwendung. „Die Einführung neuerer Sexualdelikte hat diesen Paragrafen fast obsolet gemacht“, sagt der Innsbrucker Strafrechtler Andreas Scheil.
Sexuelle Gewalt sieht am Anfang oft recht harmlos aus: „Da wird die Sprache des Vaters immer sexualisierter, oder die Mutter wäscht ihre Kinder allzu gründlich“, erklärt Charlotte Aykler, die mit ihrem Team Opfer betreut. Oft ist bei den Übergriffen keine körperliche Gewalt im Spiel, die Täter geben sich zärtlich. „Kinder und Jugendliche, denen Vertrauenspersonen fehlen, sind besonders gefährdet.“
Nur wenige Fälle landen vor Gericht. „Und wenn es dann zu einem Freispruch kommt, weil die Mutter nichts gesehen haben will, ist es besonders schlimm für das Opfer“, sagt Aykler. Die Täter würden sich dann sogar bestätigt fühlen. „Auslöser für solche Taten ist eine gestörte Triebstruktur, die nicht normal, sondern in der Familie ausgelebt wird“, sagt Psychologe Werner Stangl.
Warnzeichen
Um der sexuellen Gewalt in Familien Einhalt zu gebieten, braucht es mutige Zeugen oder geschulte Pädagogen. Es gilt, schon erste Anzeichen ernst zu nehmen. Dem Kind klar zu machen, dass es den „lieben Onkel“ nicht zu schützen braucht, dass es keine Schuld trägt an dem Geschehenen.
„Wir warnen unsere Kinder gerne vor bösen, fremden Männern“, meint Stangl. „Dabei kann gerade die Familie ein Hort der Gefahr sein.“ Dann ist ausgerechnet Papa der Böseste von allen.
Artikel vom 03.05.2008 im KURIER von Nikolaus Jilch