Linzer Pädagogikprofessor Altrichter fordert, dass Bifie-Daten über Bildungsstandards auch unabhängigen Forschern zugänglich gemacht werden müssen
derStandard.at: Hätten die diesmal bei der Testung der Bildungsstandards in Englisch in der achten Schulstufe – also in den vierten Klassen der AHS-Unterstufen, Haupt- und Neuen Mittelschulen – erstmals eigens ausgewiesenen Neuen Mittelschulen (NMS) nicht deutlich besser abschneiden müssen als die anderen Schulen, da sie ja auch mehr Ressourcen und Lehrer in der Klasse haben, wie von den Kritikern moniert wird?
Altrichter: Da allemal der stärkste Einfluss auf gegenwärtige Leistungen von früheren Leistungen ausgeht, war nicht zu erwarten, dass NMS alle anderen Schultypen überflügeln. So haben beispielsweise Gymnasien weiterhin eine ausgelesene Schülerpopulation, sodass man bei diesen Schulen bessere Durchschnittsleistungen und stärkere Leistungszuwächse erwarten kann – weil es Schülern mit besseren Eingangskompetenzen im Allgemeinen leichter fällt, zusätzliche Kompetenzen zu erwerben. Wenn man allerdings „faire Vergleiche“ zustande bringt, also NMS mit anderen Schulen, die mit einer ähnlichen Schülerpopulation arbeiten, vergleicht, dann würde man erwarten, dass die zum Teil neuen pädagogischen Konzepte wie Teamteaching und innere Differenzierung nach einem gewissen „Wirkungszeitraum“ einen Vorteil bringen – dazu hat man ja diese Reform gemacht. Allerdings wird der Unterschied nicht ganz so krass sein, weil diese pädagogischen Konzepte ja schon zum Teil in andere Schulen Eingang gefunden haben und andererseits auch in der NMS wahrscheinlich nicht flächendeckend in gleicher Qualität umgesetzt werden.
derStandard.at: Diesmal wurde bei der Auswertung der Bildungsstandard-Testungen zwar auf einen „fairen Vergleich“ verzichtet, das Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) hat aber einen „Index der sozialen Benachteiligung“ in die Analysen integriert. Was leistet denn der „faire Vergleich“, und warum ist er „fair“?
Altrichter: Die Idee des „fairen Vergleichs“ geht davon aus, dass es nicht besonders sinnvoll ist, Äpfel mit Birnen oder eine soziale Brennpunktschule in einer Großstadt mit einer gesamtschulartigen Neuen Mittelschule in einer ländlichen Region, die kaum Schüler an Gymnasien verliert, zu vergleichen, und die Letztere wieder mit dem akademischen Gymnasium in einer Landeshauptstadt. Durch einen „fairen Vergleich“ können die Ergebnisse einer Schule mit jenen anderer Schulen, die in Hinblick auf ihre Schülerzusammensetzung unter sehr ähnlichen Bedingungen arbeiten, verglichen werden. Dies soll helfen, dass die Vergleichsmöglichkeiten überhaupt ernst genommen werden und dass Schulen einigermaßen sinnvolle Vergleiche mit anderen Schulen durchführen können.
derStandard.at: Was können oder sollen Bildungsstandards überhaupt leisten?
Altrichter: Bildungsstandards wurden in den deutschsprachigen Schulsystemen nach dem „Pisa-Schock“ 2001 eingeführt. Sie sind zu verstehen als ein Element eines neuen, „evidenzbasierten Steuerungsmodells“, durch das die weitere Entwicklung der Schulen zielgerichteter und energischer als zuvor in die Richtung gewünschter Ergebnisse gesteuert werden soll. Dieses Konzept geht davon aus, dass man den Schulen klarer kommunizieren muss, welche Ziele und Ergebnisse erreicht werden müssen, um die gewünschte Qualität zu erreichen. Das geschieht durch Bildungsstandards und deren Testung.
Diskrepanzen zwischen den Ansprüchen und der Realität sollen die Akteure auf allen Ebenen motivieren, Entwicklungsaktivitäten zu setzen, um die Zielerreichung zu verbessern. Das Modell setzt zum Teil auch auf „Selbststeuerung“, da ja die Akteure auf den verschiedenen Ebenen die Ergebnisse interpretieren und selbst zu den richtigen Schlüssen für die weitere Entwicklung kommen sollen. Insgesamt kann man das Modell auch als einen Versuch der „Rationalisierung“ und Beschleunigung von Entwicklung verstehen: Entwicklungsentscheidungen sollen auf guten Informationen basieren, die zeitnah gegeben und für Weiterentwicklung genutzt werden. Die Frage ist, ob sich diese Logik auch in die Realität umsetzen lässt.
derStandard.at: Sind die Bildungsstandards ein Kontrollinstrument oder ein pädagogisches Instrument?
Altrichter: Bildungsstandards als Element des beschriebenen evidenzbasierten Steuerungsmodells sind sicher zunächst ein Kontrollinstrument in dem Sinne, dass die Leistungen des Systems kontrolliert und dessen Weiterentwicklung beobachtet werden soll. Mit den Bildungsstandards sollen darüber hinaus auch pädagogische Impulse gegeben werden. Die Formulierung der Bildungsstandards als Kompetenzen soll die Lehrpersonen zu „kompetenzorientiertem Unterricht“ anregen. Damit ist im Wesentlichen eine gar nicht so neue pädagogische Idee gemeint, dass nämlich für die Unterrichtsgestaltung weniger das Wissen der verschiedenen Gegenstände, sondern die Kompetenzen, die die Lernenden anhand dieser Gegenstände erwerben sollen, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
derStandard.at: Welchen Sinn haben Bildungsstandards aber, wenn die Rückmeldung genau an der Schnittstelle (4. Klasse Volksschule, 4. Klasse Haupt- oder Neue Mittelschule bzw. AHS-Unterstufe) gemacht wird, dann erfahren Eltern und Lehrer (noch dazu anonymisiert), wie es um das Kind steht – und dieses ist dann im folgenden Jahr weg. Förderung oder Reaktion auf Defizite unmöglich. Ist das nicht ein Konstruktionsfehler der Bildungsstandards? Hätte man sie nicht in Schulstufe drei und sieben ansetzen müssen, um daraus auch konkrete pädagogische Maßnahmen und Förderungen abzuleiten?
Altrichter: Die meisten Bildungsforscherinnen und -forscher würden das so sehen. Schon im Gutachten von Eckhard Klieme und seinen Kollegen von 2003, das wohl den Anfangspunkt der Entwicklung von Bildungsstandards im deutschsprachigen Raum markiert, wird davon abgeraten, die Standardtestung am Ende von Bildungsgängen anzusetzen, sondern sie mehr in die Mitte der Bildungsgänge zu rücken, sodass konkrete Konsequenzen für das Lernen der Schüler und für die Unterrichtsgestaltung in den getesteten Klassen gezogen werden können und eine Nutzung für die Verbesserung oder „Modernisierung“ von Prüfungen und Selektion vermieden wird.
Hinter dem österreichischen Modell ist wohl so etwas wie eine Idee der Messung des Ertrags von Bildungsgängen gestanden. Auch wird argumentiert, dass die Rückmeldung der Standardtestungen ohnehin nicht für Individualdiagnose – also um Stärken, Schwächen und Förderungsmöglichkeiten einzelner Schüler festzustellen – verwendet werden kann, sondern für die Weiterentwicklung des Unterrichts. Alle bisherigen Erfahrungen deuten jedoch darauf hin, dass die Idee, die Standardtestergebnisse könnten zu einer produktiven Weiterentwicklung des Bildungssystems beitragen, gar nicht so leicht zu realisieren ist.
derStandard.at: Was können Eltern mit dem Ergebnis ihres Kindes anfangen? Was bringt es einem Kind, wenn es erfährt: Du kannst nicht so viel, wie du eigentlich können solltest – du kannst jetzt aber auch nichts mehr dagegen tun, weil du zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ergebnisse bereits in einer ganz anderen Schule bist?
Altrichter: Da die Standardtestung im Frühjahr stattfindet und die Ergebnisse erst im Wintersemester des folgenden Schuljahrs vorliegen, ist tatsächlich ein großer Teil der Schüler nicht mehr bei den Lehrpersonen und in der Klasse, in der er oder sie getestet wurde, meist auch nicht einmal mehr in der gleichen Schule. Das Interesse von Kindern und Eltern, sich die Individualergebnisse im Vergleich anzuschauen, hält sich daher auch in Grenzen. In einer Bifie-Untersuchung der Bildungsstandards-Pilotphase griffen nur 14 Prozent der Schüler und Eltern auf diese Rückmeldungsmöglichkeit zurück; ob sie diese nützlich fanden, wissen wir nicht.
derStandard.at: Was bringen die Standards den Lehrern und Direktoren? Wie nutzen Sie bereits vorhandene Bildungsstandard-Ergebnisse?
Altrichter: Wir führen gerade Studien durch, in denen wir die Rezeption von Bildungsstandards und der Ergebnisse der standardbezogenen Tests in Schulen untersuchen. Hier wird auch von Lehrpersonen häufig kritisiert, dass sie ja nicht mehr jene Kinder in der Klasse haben, die sich im Vorjahr dem Test gestellt hatten. Dadurch könnten sie auch nicht direkte Schlüsse für die individuelle Förderung der Kinder ziehen. Die Antwort der Verfechter von Bildungsstandards darauf lautet meist, dass Lehrpersonen allgemeinere Schlüsse in Hinblick auf ihre Unterrichtsgestaltung ziehen sollten, zum Beispiel in Hinblick auf Schwerpunktsetzungen beim Erwerb spezieller Kompetenzen, bei individueller Förderung und methodischer Gestaltung der Lernprozesse. Das fällt Lehrpersonen und auch Schulleitungen aber offenbar nicht leicht.
Wir wissen in der Zwischenzeit aus einer größeren Zahl von Untersuchungen in verschiedenen deutschsprachigen Ländern, dass Lehrpersonen relativ wenige Konsequenzen aus der Rückmeldung solcher Leistungsdaten ableiten, und wenn sie solche Konsequenzen ziehen, dann betreffen diese häufig eher geringfügige Veränderungen der Unterrichtsgestaltung. Das ist auch gar nicht so überraschend, wie das auf den ersten Blick scheinen mag, weil die standardbezogenen Testungen ja wenig über die Gestaltung der Unterrichtsprozesse aussagen, sondern viel mehr über die letztlich erzielten Resultate.
derStandard.at: Was können Lehrer denn dann aus den Bildungsstandard-Ergebnissen ableiten?
Altrichter: Aus den Ergebnissen kann ich vielleicht erkennen, welche Kompetenzbereiche forciert werden sollen, in welchen Klassen wenig Freude an Mathematik herrscht. Ich kann aber nicht erkennen, welche Lernprozesse verändert werden sollen, wie ich als Lehrperson in Unterrichtssituationen anders handeln sollte. Aus den frühen Standarduntersuchungen wissen wir auch, dass relativ wenige Lehrpersonen angeben, dass sie die neuen kompetenzorientierten Standards direkt für ihre Unterrichtsplanung heranziehen.
derStandard.at: Wirken Standards dann überhaupt nicht?
Altrichter: Durch unsere aktuellen Untersuchungen, die im Laufen sind, scheint folgende Einschätzung nahezuliegen: Aufgrund der Tatsache, dass Bildungsstandards getestet werden, bemühen sich viele Lehrpersonen darum, ihre Schüler gut auf diese Tests vorzubereiten. Dazu verwenden sie die Unterlagen, die ihnen angeboten werden, die Aufgabenbeispiele, die Bildungsstandards beispielhaft vorführen, die diagnostischen Tests („Informelle Kompetenzmessung“), mit denen man überprüfen kann, ob man sich auf dem Weg zu diesen Standards befindet. Dadurch nehmen Bildungsstandards einen Einfluss auf Unterricht. Die Rückmeldung der standardbezogenen Ergebnisse scheint uns an den Schulen bisher zu wenig greifbaren Konsequenzen zu führen.
derStandard.at: Sind die Bildungsstandard-Ergebnisse auch eine Art „Note“ für die Lehrer?
Altrichter: Der Gesetzgeber hat ja explizit zugesichert, dass Bildungsstandard-Ergebnisse nicht für eine Bewertung von Lehrpersonen verwendet werden. In den erreichten Ergebnissen schlägt sich sicherlich auch die Arbeit von Lehrpersonen nieder, doch gibt es viele andere Einflüsse wie das Vorwissen und die familiäre Unterstützung der Schüler, das Engagement der Schüler oder das Schulklima, zu dem auch viele andere Lehrpersonen beitragen, sodass es ungerecht wäre, die Leistungsergebnisse in einem Fachtest allein einer Lehrperson zuzurechnen.
derStandard.at: Was kann die Politik aus flächendeckenden Bildungsstandard-Ergebnissen ableiten?
Altrichter: Die Bildungspolitik kann – in der Logik des propagierten „Steuerungsmodells“ – Rückschlüsse darauf ziehen, ob bestimmte getestete Kompetenzbereiche unter oder über den Erwartungen liegen, ob bestimmte Problemstellen im Schulsystem identifizierbar sind. Sie könnte aus einer solchen Analyse auch Konsequenzen ableiten, indem beispielsweise spezifische Förderprogramme, zum Beispiel Lesen in der Grundschule, Hörverständnis im Fremdsprachenunterricht, spezielle Unterstützung für soziale Brennpunktschulen, formuliert werden, die die Situation in diesen speziellen Feldern verbessern sollen. Die Frage, die uns alle interessiert, ist allerdings, ob es der Politik und der Bildungsverwaltung leichter als den Lehrpersonen fällt, konsequente Entwicklungen aus der Standardrückmeldung abzuleiten. Untersuchungen von Klaus-Jürgen Tillmann in einigen Bildungsministerien deutscher Bundesländer deuten allerdings darauf hin, dass Bildungspolitik nicht so „rational“ funktioniert, wie sich das Steuerungsmodell das vorstellt.
derStandard.at: Können die Bildungsstandard-Testungen auch negative oder unerwünschte Effekte haben?
Altrichter: Die Forschungsliteratur ist voll von negativen und unerwünschten Effekten von testbasierten Steuerungssystemen. Darunter fallen beispielsweise: Schulen konzentrieren sich im Unterricht nur mehr auf die gemessenen Kompetenzen und Gegenstände und vernachlässigen andere Lernbereiche. Lehrpersonen werden angehalten, nur mehr bewährte Inhalte und Methoden zu verwenden und nicht mehr Neues zu erproben. Schüler, von denen schlechte Ergebnisse erwartet werden, werden auf unterschiedliche Weise ausgeschlossen, zum Beispiel indem man versucht, sie an andere Schulen oder Bildungsgänge loszuwerden, oder indem sie am Testtag „krankgeschrieben werden“.
Die negativen Effekte gehen bis zu verschiedenen Täuschungsstrategien von Schülern und Lehrpersonen (z. B. beim Test helfen, Testblätter von schwachen Schülern „verschwinden lassen“). Dazu ist aber zu sagen, dass nicht alle diese negativen Effekte bei der speziellen Anlage der österreichischen Bildungsstandard-Messung möglich sind. Außerdem scheinen solche unerwünschten Effekte häufiger in solchen Bildungssystemen aufzutreten, bei denen die Ergebnisse mit starken individuellen Konsequenzen für Lehrer und/oder Schüler (z. B. Lehrerentlohnung, Zeugnisse für Schüler) oder mit Konsequenzen für die Schule (zusätzliche Mittel für die Schule, Schließung der Schule) verbunden sind, in sogenannten „High-Stakes-Systemen“. In Österreich und in den anderen deutschsprachigen Ländern sind gegenwärtig kaum gravierende Konsequenzen mit den Bildungsstandard-Ergebnissen verbunden, insofern sind auch weniger zahlreiche und gravierende negative Konsequenzen zu erwarten.
derStandard.at: Die Bildungsstandards werden flächendeckend in ganz Österreich bei allen Schülern in den jeweiligen Schulstufen getestet. In Zukunft alle zwei Jahre. Ist diese Vollerhebung, die ja auch sehr viel kostet, wirklich sinnvoll? Kritiker sagen, es würden wesentlich weniger Daten der Schulen reichen, um entsprechende nationale Werte (Systemdaten) berechnen zu können. Wie sehen Sie das?
Altrichter: Wenn auf der Ebene der gesamtösterreichischen Bildungspolitik Schlüsse gezogen werden sollen, dann ist sicherlich keine Vollerhebung notwendig, sondern es genügen Stichproben. Ich denke, dass Vollerhebungen eher bildungspolitisch als erhebungstechnisch begründet sind: Sie sollen den einzelnen Schulen und Lehrpersonen signalisieren, dass die Ergebnisse auch sie angehen und Konsequenzen für Schulentwicklung gezogen werden müssen. Wenn dieser Mechanismus aber nicht funktioniert, dann werden die groß angelegten Vollerhebungen sehr zweifelhaft.
derStandard.at: Welche Daten und Ergebnisse sollten aus Ihrer Sicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Es fürchten ja alle, dass die Schulergebnisse als Rankings missbraucht werden könnten.
Altrichter: Die Standardtestergebnisse sind nicht wirklich für Rankings in der U-Bahn-Zeitung geeignet, weil ihre Interpretation zu voraussetzungshaft ist, um sie in einem Kurztext fair zu vermitteln. Andererseits wird im Augenblick auch zu viel Geheimnis um die Ergebnisse gemacht. Die Schulergebnisse etwa dürfen nur den Elternvertretern in den Schulpartnerschaftsgremien zur Kenntnis gebracht werden in einem Bericht, der gegenüber dem Informationsstand der Schulleitung reduziert ist. An der Schule, an der ich Elternvertreter bin, wurde freiwillig eine größere Gruppe von Eltern durch die Schulleitung über die Ergebnisse ins Bild gesetzt, ohne dass das negative Konsequenzen gehabt hätte. Ich meine, es wird in nächster Zeit auch an Schulleitungen und Lehrern liegen, den Schülern und Eltern spürbar zu machen, dass sie bereit sind, sich mit Herausforderungen und Schwächen auseinanderzusetzen, sonst wird der Ruf nach breiterer Öffentlichkeit stärker werden.
derStandard.at: Die vom Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens erhobenen Daten werden unter Verschluss gehalten. Universitäten und andere Bildungsforscher haben keinen Zugriff darauf. Ist das zu verteidigen? Oder sollen da schlechte Ergebnisse vertuscht werden?
Altrichter: Wenn die Standardtestungen, für die ja viel öffentliches Geld fließt, relevante Daten über das Schulwesen enthalten, dann müssen sie auch einer unabhängigen Forschung zugänglich gemacht werden: Diese Forderung ist von österreichischen Bildungsforschern schon mehrmals erhoben worden, und wir hoffen, dass hier unter einer neuen Ministeriums- und Bifie-Leitung ein Umdenken einsetzt. Oft wird mit Datenschutz argumentiert, was allerdings kein stichhaltiges Gegenargument ist. Heute bestehen technische Möglichkeiten, die es erlauben, große Datensätze so zu anonymisieren, dass einzelne Personen, Schulen, Bezirke usw. nicht mehr identifizierbar sind.
Ein gutes Beispiel ist der Pisa-Datensatz, der nach einer gewissen Zeit in derart anonymisierter Form allen Forschern zugänglich ist. Das hat sicher in der letzten Dekade zu einer Verbreiterung unseres Wissens über Schulsysteme geführt, weil viele Forscher – und eben auch solche, die nicht in Großforschungsstätten sitzen oder von den jeweiligen Ministerien beauftragt wurden – zum Teil unerwartete Fragestellungen an diese Datenbasis heranbringen konnten.
Herbert Altrichter (geb. 1954 in Wien) ist Professor für Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Universität Linz. Er forscht zu Schulentwicklung und Steuerung des Bildungswesens und ist Mitglied des Vorstands der European Educational Research Association.
Quelle
Lisa Nimmervoll, derStandard.at, 10.2.2014.
WWW: http://derstandard.at/1389859603035/Dass-Neue-Mittelschulen-alle-anderen-ueberfluegeln-war-nicht-zu-erwarten (14-02-10)