Lokalaugenschein. Die Johannes Kepler Universität in Linz fragt Intelligenz, Interessen und Persönlichkeitsmerkmale von Maturanten ab. Und senkte damit die Drop-out-Quote in den vergangenen Jahren um mehr als ein Drittel.
Linz. „Es gibt im Leben zwei wichtige Entscheidungen: Die erste betrifft die Partnerwahl, die zweite die Studien- und Berufswahl.“ Diesen Satz sagt Christian Bergmann, wissenschaftlicher Leiter des Studienwahlberatungsteams, meistens, bevor er die Testhefte an die wartenden Maturanten an der Linzer Johannes Kepler Universität (JKU) verteilt.
Für die zweite Entscheidung wird dieser Test möglicherweise noch eine bedeutende Rolle spielen. Denn in knapp vier Stunden an vier Tagen zu Beginn des Sommersemesters werden für jeden der jährlich teilnehmenden 500 bis 600 Interessenten die Begabungen, Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeitsmerkmale abgefragt.
Eine der Teilnehmerinnen ist die 18-jährige Christina Gaunersdorfer, die im kommenden Herbst mit Wirtschaftswissenschaften starten will und derzeit das Gymnasium in Enns besucht. Sie musste während des Tests unter anderem Diagramme deuten, Zahlenreihen fortsetzen und Auskunft darüber geben, wie schnell sie sich überfordert fühle oder wie sie ihre Fähigkeit einschätze, Gruppen zu leiten.
Ein „Beratungsreport“ für jeden
Die Auswertung, den „Beratungsreport“, bekommen Gaunersdorfer und die anderen potenziellen Studienanfänger – sie haben vor, an der Uni Linz eines der rechtswissenschaftlichen, wirtschaftswissenschaftlichen oder naturwissenschaftlich-technischen Studienfächer zu belegen – bis Ende März auf zehn bis zwölf bedruckten Seiten zugeschickt. Spätestens dann haben sie es schwarz auf weiß, ob ihr bevorzugtes Fach überhaupt zu ihren kognitiven und persönlichen Leistungsvoraussetzungen passt.
Mit Selektion habe das nichts zu tun. Der Studienberatungstest sei eher ein spezielles Angebot der Universität, das im besten Falle zu einer „personenangemessenen Studienwahl“ der Studierenden selbst führen würde: „Wir geben keine Empfehlungen ab und sagen niemandem, was er tun soll“, sagt Bergmann. Allerdings empfiehlt es sich, die Ergebnisse des Beratungsreports in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen: Unter den Getesteten, die alle Kriterien zum Studium erfüllen, schließen neun von zehn das Studium ab. Wenn der Test ergibt, dass Persönlichkeit und kognitive Leistungsvoraussetzungen nicht für das Studium passen, es aber dennoch begonnen wurde, erreichen nur drei von zehn Studenten ihr Ziel.
Der Grund, warum der freiwillige Test 1991 eingeführt wurde, waren hohe Drop-out-Quoten. Es hat sich gezeigt, dass jene, die den Test machen, seltener das Studium abbrechen: Die Drop-out-Quote der Teilnehmer an dem Beratungstest sei um ein Drittel geringer als jene ihrer Kommilitonen, erklärt Bergmann. Selektion, also Zulassungsbeschränkungen, wie sie bereits für Medizin oder Psychologie gelten, hält Bergmann nur dort für zweckmäßig, „wo die Nachfrage nach Studienplätzen das Angebot übertrifft. Bei FH-Studien ist dies ja auch seit Anbeginn eine Selbstverständlichkeit.“
„Der Student als Kunde der Uni“
Dennoch wäre eine verpflichtende Beratungsphase vor Studienantritt auch in allen anderen Fällen wünschenswert: „Wenn die Bedürfnisse von Studierwilligen – als zukünftigen Partnern oder Kunden der Universitäten – frühzeitig berücksichtigt werden, bleibt mehr Zeit für die Entwicklung ihrer beruflichen Identität und Ziele.“ Schließlich gebe es keinen schlechten Partner – und kein schlechtes Studienfach: „Wenn es so erscheint, hat man einfach schlecht gewählt.“
Quelle: Die Presse vom 23.02.2011 GEORGIA MEINHART (Die Presse)