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Kulturtechnik Handschrift

    Am 23. Jänner ist der Internationale Tag der Handschrift, der seit 1977  unter der Schirmherrschaft der Writing Instrument Manufacturers Association (WIMA) dabei weltweit der Einfluss des handschriftlichen Schreibens auf unseren Alltag gewürdigt wird. Heute weiß man, dass es einen Zusammenhang zwischen Schreiben, Denken, Kreativität und der neuronalen Aktivität unseres Gehirns gibt: „Schreiben und Zeichnen mit der Hand ist Basiskompetenz für vieles, und Sprache gelingt vor allem durch die hochkomplexen, feinmotorischen Fertigkeiten mit der Hand“, sagt Stephanie Ingrid Müller, Kunst- und Medienpädagogin vom Mediastep-Institut in Nürnberg. Schreiben macht aber nicht nur klug, sondern trägt auch zum Stressabbau bei und lässt das Gehirn zur Ruhe zu kommen, während das Gedächtnis gleichzeitig stimuliert und der Geist jung gehalten wird. Und letztlich vermag die Handschrift auch Emotionen zu vermitteln, denn nichts ist so persönlich, authentisch und individuell wie sie.

    Das Schreiben mit dem Stift oder der Füllfeder ist eine Kulturtechnik und im besten Sinne des Wortes auch Handwerk, doch ist der Weg zu einer flüssigen Handschrift alles andere als leicht, wie man aus eigener Erfahrung weiß oder bei Kindern beobachten kann. So mancher ABC-Schütze scheint daran zunächst zu verzweifeln. Das Handschreiben fördert die Merkfähigkeit, das inhaltliche Verständnis, Kreativität und selbst das logische Denken. Das Schreiben mit der Hand wirkt sich positiv auf das Gehirn und damit die kognitive Entwicklung aus. Wenn man vom Schreiben spricht, denkt man zuerst an die Schrift, wobei die Bewegungen, die zur Schrift führen, entscheidend sind, also die Schreibmotorik. Kleine Finger- und Handgelenkbewegungen ermöglichen erst die Ausgestaltung der Schrift, wobei sich siebzehn Gelenke und mehr als 30 Muskeln im Hand-Arm-System bewegen, wobei zwölf Hirnareale gleichzeitig aktiv sein müssen. Das Schreiben mit der Hand ist also ein komplexer, feinmotorischer Ablauf, denn nur geübte Finger können das Schreibgerät beherrschen. Dass Kinder immer weniger Bewegungsspiele spielen, wirkt sich das nicht nur auf die Grobmotorik sondern auch auf die Feinmotorik aus.

    Van der Weel & Van der Meer (2024) zeichneten die Gehirnaktivität auf, während Versuchspersonen visuell dargestellte Wörter mit einem digitalen Stift handschriftlich eingaben oder die Wörter auf einer Tastatur eintippten. Es zeigte sich, dass die Konnektivitätsmuster des Gehirns beim Schreiben mit der Hand wesentlich ausgeprägter waren als beim Schreiben auf einer Tastatur, was sich in weit verbreiteten Theta/Alpha-Kohärenzmustern in parietalen und zentralen Hirnregionen widerspiegelte. Es ist bekannt, dass Konnektivitätsmuster in diesen Hirnregionen für die Gedächtnisbildung und die Kodierung neuer Informationen von entscheidender Bedeutung und daher auch für das Lernen vorteilhaft sind. Diese Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die räumlich-zeitlichen Muster der visuellen und propriozeptiven Informationen, die durch die Handbewegungen bei der Stiftbedienung gewonnen werden, in hohem Maße zu den lernförderlichen Konnektivitätsmustern des Gehirns beitragen, während das wiederholte Drücken einer Taste das Gehirn weniger anregt, Dies erklärt auch, warum Kinder, die auf einem Tablet lesen und schreiben gelernt haben, oft Schwierigkeiten haben, spiegelbildliche Buchstaben wie ›b‹ und ›d‹ voneinander zu unterscheiden, da sie nicht mit ihrem Körper gespürt haben, wie es sich anfühlt, diese Buchstaben zu zeichnen. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Kinder schon früh in der Schule mit handschriftlichen Aktivitäten konfrontiert werden sollten, um die neuronalen Verschaltungsmuster zu etablieren, die dem Gehirn optimale Bedingungen für das Lernen bieten. Für Lehrerinnen und Lehrer ist es daher sehr wichtig, neben der Arbeit am Tablet oder Computer auch das Erlernen einer sicheren Handschrift zu fördern.

    Studien haben gezeigt, dass schon eine Stunde Handschriftförderung in der Woche eine Reihe positiver Effekte hat, und zwar über alle Fächer hinweg und weit über die Volksschule hinaus. Schreiben erhöht die Merkfähigkeit und die Kreativität, man unterstützt dadurch auch das Lesenlernen und das Lernen im Allgemeinen. Handschrift erfordert größere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung, denn dadurch prägen sich die unterschiedlichen Buchstabenformen dauerhafter ein, d. h., die Handschrift nützt dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur. Beim Tippen gelangt man mit immer der gleichen Bewegung zu einem Buchstaben, wenn man aber ein Schriftzeichen per Hand schreibt, muss man Bewegungen vollführen, die bei jedem Buchstaben anders aussehen. Jeder Buchstabe hat einen anderen charakteristischen Bewegungsablauf, und diese kleinsten, differenzierten Bewegungen sind es, die das Gehirn aktivieren und beim Lernen helfen. Man kann davon ausgehen, dass die gesamte kognitive Entwicklung von Kindern durch Schreiben stärker befruchtet wird als durch Tippen, weil mehr benachbarte Funktionen wie Vorstellungskraft, Kreativität, Rechtschreibung und Erinnerungsvermögen angeregt werden. Zudem wird bei der Verarbeitung von Text in Form von Handschreiben eine motorische Gedächtnisspur im Gehirn angelegt, auch bei Erwachsenen.

    Literatur

    Marianela Diaz Meyer, Leiterin des deutschen Schreibmotorik-Instituts, in einem Interview mit Markus Böhm im Standard vom 31. August 2020.
    Stangl, W. (2024, 27. Jänner). Handschrift oder Tastatur? Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Pädagogik.
    https:// paedagogik-news.stangl.eu/handschrift-oder-tastatur.
    Van der Weel, F. R. & Van der Meer, Audrey L. H. (2024). Handwriting but not typewriting leads to widespread brain connectivity: a high-density EEG study with implications for the classroom. Frontiers in Psychology, 14, doi:10.3389/fpsyg.2023.1219945.
    https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220114_OTS0057/kein-bisschen-abgeschrieben-faber-castell-feiert-die-handschrift-foto (22-01-15)