Die Vorstellung, dass Kinder am besten lernen, wenn Unterrichtsmethoden genau auf ihren individuellen „Lerntyp“ – sei es auditiv, visuell oder haptisch – abgestimmt sind, ist weit verbreitet. Diese Annahme hat sich in der Pädagogik und Lernpsychologie bereits seit Jahrzehnten hartnäckig gehalten. Allerdings zeigen neuere wissenschaftliche Studien, dass es keinen empirisch belegbaren Vorteil für den Lernerfolg gibt, wenn Kinder entsprechend ihres vermeintlichen Lerntyps in Gruppen eingeteilt und unterrichtet werden. Die Frage, die sich daher stellt, ist, warum sich dieser „Lerntyp-Mythos“ so zäh in den Köpfen von Eltern, Lehrern und sogar Experten hält. Ein Grund dafür ist sicherlich die einfache und intuitive Vermittelbarkeit dieser Einteilung in auditive, visuelle und haptische Lerner. Viele Menschen empfinden es als plausibel, dass Kinder unterschiedliche Präferenzen und Stärken in Bezug auf bestimmte Lernkanäle haben. Zudem ist individuelles Lernen in der Tat ein sehr komplexer Prozess, der weit über solche vermeintlich klar abgrenzbaren Kategorien hinausgeht. Jedes Kind hat seine ganz eigenen Lernbedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten und Motivationen, die sich nicht einfach auf einen dominanten Lernkanal reduzieren lassen.
Um die individuelle Förderung von Kindern im Lernprozess erfolgreich zu gestalten, bedarf es daher eines ganzheitlicheren Ansatzes. Fünf zentrale Empfehlungen, die durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden, sind:
1. Die Förderung sollte stets an den individuellen Stärken und Bedürfnissen des Kindes ausgerichtet sein. Dazu ist es wichtig, genau zu beobachten, wie das Kind am besten lernt, und die Unterstützung flexibel an seine Lernfortschritte anzupassen.
2. Vielfalt im Lernprozess ist förderlich für die Kompetenzentwicklung. Ermutigen Sie Ihr Kind, verschiedene Lernmethoden auszuprobieren, wie lautes Vorlesen, Malen, Schreiben oder Experimente durchführen.
3. Regen Sie die kognitive Aktivität des Kindes an, indem Sie Fragen stellen, Erklärungen geben und Zusammenhänge verdeutlichen. Fordern Sie es heraus, Probleme selbstständig zu lösen, um nachhaltiges Verständnis aufzubauen.
4. Seien Sie skeptisch gegenüber einfachen „Patentrezepten“ wie pauschale Zuordnungen zu Lerntypen. Solche vereinfachenden Programme oder Materialien erweisen sich in der Regel als ineffektiv für die individuelle Lernförderung.
5. Bedenken Sie, dass jedes Kind über vielfältige Stärken und Kompetenzen verfügt, die weit über eine Einteilung in Lerntypen hinausgehen. Die gezielte Förderung der individuellen Bedürfnisse ist der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen.
Insgesamt zeigt sich, dass eine ganzheitliche, flexible und an den Stärken des Kindes orientierte Herangehensweise dem starren Konzept der Lerntypen überlegen ist. Nur so können die vielfältigen Facetten individuellen Lernens in der pädagogischen Praxis angemessen berücksichtigt werden. Es ist daher wichtig, auf flexible und individuell anpassbare Lernansätze zu setzen. Denn jedes Kind ist einzigartig und hat seine eigenen Stärken, Schwächen und Bedürfnisse. Eine enge Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Lehrkräften ist daher unerlässlich. Nur so können die spezifischen Lernvoraussetzungen des Kindes optimal erfasst und geeignete Fördermethoden entwickelt werden.
Starre Konzepte wie das Lerntypmodell erweisen sich hingegen als wenig hilfreich. Zwar können solche Einteilungen auf den ersten Blick praktisch erscheinen, doch die Realität ist viel komplexer. Kinder zeigen in der Regel ein Mischprofil und bevorzugen verschiedene Zugänge je nach Lerninhalt und Kontext. Eine ganzheitliche Förderung, die die individuellen Fähigkeiten und Interessensschwerpunkte berücksichtigt, ist daher zielführender. Empirische Studien belegen überdies, dass Kinder am besten lernen, wenn der Unterricht ihre Neugier weckt und das Verständnis in den Mittelpunkt stellt. Methoden, die Spaß machen und einen aktiven, entdeckenden Zugang zum Lernstoff ermöglichen, sollten daher Vorrang haben. So können Kinder ihre Potenziale am besten entfalten und die Freude am Lernen erhalten. Letztlich ist es wichtig, Kinder ganzheitlich und flexibel zu fördern, indem man ihre individuellen Voraussetzungen berücksichtigt, mit Lehrern eng zusammenarbeitet und Lernmethoden einsetzt, die Neugier und Verständnis in den Vordergrund stellen. Nur so können Kinder ihre Talente optimal entwickeln und langfristig erfolgreich lernen.
Literatur
Stangl, W. (2021, 3. Jänner). Schon wieder Lerntypen – News zum Thema Lernen.
https:// news.lerntipp.at/schon-wieder-lerntypen/
Stangl, W. (2011, 3. Jänner). Lernstile – was ist dran?. [werner stangl]s arbeitsblätter.
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PUBLIKATIONEN/Lernstile.shtml