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Menschen sehen, was sie sehen wollen

    Viele Menschen glauben, dass das Gehirn sensorische Reize möglichst präzise abbildet, doch schon der erwartete Nutzen einer Information beeinflusst die Wahrnehmung, und das bereits auf Ebene der Sensorik, also beim Sehen etwa die Netzhaut. Die visuelle Verarbeitung orientiert sich offenbar am Prinzip der Nutzenmaximierung, sodass man die Dinge nicht unbedingt so sieht, wie sie in Wirklichkeit sind. Vor allem, wenn es um das Überleben, das Wohlbefinden oder andere Interessen geht, sieht man die Dinge unbewusst verzerrt, wobei dieser Effekt bereits im Auge beziehungsweise in der Netzhaut einsetzt.

    In einem Versuch sollten Probanden jenes von zwei Streifenmustern auswählen, das einem 45-Grad-Winkel am nächsten kam, wofür es unterschiedliche Belohnungen gab: Einmal erhielten sie für jeden Treffer 15 Schweizer Franken. In der zweiten Bedingung hing die Entlohnung nur von der Orientierung der Reize ab, wobei der Score kontinuierlich von 0 bis 45 Grad (1 Franken bei 0 Grad Neigungswinkel; 46 Franken bei 45 Grad) stieg. Es zeigte sich, dass die Probanden bei der zweiten Bezahlungsart besser lernten, diagonale Muster voneinander zu unterscheiden, d. h., die Wahrnehmung schien sich also anzupassen und die Versuchspersonen sahen das präzise, was ihnen nutzte.

    Um zu zeigen, ob sich tatsächlich die basale Wahrnehmung verändert oder ob es sich um unterschiedliche Interpretationen desselben Sinneseindrucks handelt, machte man sichdie räumliche Organisation der frühen Sehareale zu Nutze. Diese sind wie eine Karte der Retina aufgebaut, d. h., benachbarte Reize der Netzhaut stimulieren benachbarte Nervenzellen.

    Probanden trainierten im Folgeversuch mit denselben Belohnungsprinzipien, aber nun sah jeder Teilnehmer das Vergleichspaar in einer der beiden Bildschirmhälften. Nach dem Training ging es wieder ans Geldgewinnen, d. h., die Teilnehmer sahen ein einzelnes Muster jeweils am oberen oder am unteren Rand des Screens und mussten den Winkel der Streifen schätzen. Befand sich das Muster im selben Teil des Bildschirms wie im Training, so passte sich ihre Wahrnehmung sofort an die Logik der Nutzenmaximierung an, die sie zuvor gelernt hatten. Dies war aber nicht der Fall, wenn das Muster im anderen Teil erschien.

    Diese Ergebnisse zeigen, dass die Anpassung also schon in den frühesten Stadien der Reizverarbeitung passiert, d. h., wenn man etwas betrachtet, versucht man dabei seinen eigenen Nutzen zu maximieren, dass also kognitive Verzerrungen lange vor dem bewussten Nachdenken darüber schon beginnen.

    Literatur

    https://www.spektrum.de/news/ die-visuelle-wahrnehmung-ist-auf-nutzenmaximierung-ausgerichtet/2156301 (23-07-13)

     






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