Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass die Evolution der intellektuellen Fähigkeiten ein Kontinuum von Bewusstseinsstufen hervorgebracht hat, die von neuronalen Netzwerken unterschiedlicher Morphologie, Zytoarchitektur, Konnektivität und Komplexität versorgt und unterstützt werden. Die neurophysiologischen Grundlagen des Bewusstseins sind jedoch noch immer zu wenig erforscht und stellen eindeutig die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften und verwandter Disziplinen dar. Es geht im Grunde um die Frage, was die Natur des Bewusstseins ist, wie und wo das Gehirn Bewusstsein generiert und ob etwa auch Tiere ein Bewusstsein haben. Zlomuzica & Dere (2021) haben nun ein neues Modell des Bewusstseins entwickelt, das sie als Plattformtheorie bezeichnen, und Bewusstsein als einen Zustand beschreibt, der an komplexe kognitive Operationen gebunden ist, und nicht bloß als einen passiven Grundzustand, der bei Wachheit automatisch vorherrscht.
Die Plattformtheorie besagt, dass das Gehirn in einen bewussten Betriebsmodus übergeht, wenn mentale Repräsentationen von Reizen, Assoziationen, Konzepten, Erinnerungen und Erfahrungen mühsam im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten und aktiv manipuliert werden müssen. Man hat dabei die Plattformtheorie als Rahmen und Bewertungsmaßstab verwendet, um Verhaltensparadigmen im Hinblick auf die jeweilige Bewusstseinsstufe zu kategorisieren, die an einer Aufgabenausführung beteiligt ist. Nach der Plattformtheorie beinhaltet ein Verhaltensparadigma bewusste kognitive Operationen wie Wahrnehmungen, Emotionen, Empfindungen, Erinnerungen, Imaginationen oder Assoziationen, wenn ein gestelltes Problem unerwartet und neu ist bzw. die Bearbeitung eine große Menge an Informationen erfordert, um kognitive Operationen durchzuführen. Bewusste kognitive Operationen sind in diesen Fällen mit einer Verlagerung von Verarbeitungsressourcen und der Umlenkung des Aufmerksamkeitsfokus verbunden. Bewusste kognitive Handlungen sind auch nötig, um künftige Ereignisse oder Probleme vorherzusagen und passende Bewältigungsstrategien zu entwickeln, wobei dieses bewusste Problemlöseverhalten jene Grundlage für adaptives und flexibles Verhalten darstellt, das es Mensch und Tier ermöglicht, sich an neue Umweltverhältnisse anzupassen.
In der neuen Theorie finden bewusste kognitive Handlungen auf Basis einer Online-Plattform statt, einer Art zentralen Exekutive, die alle untergeordneten anderen Plattformen kontrolliert, wobei es sich bei den untergeordneten Plattformen etwa um Speichermedien für Wissen oder Tätigkeiten handeln kann. Für die Erforschung des Bewusstseins wird von den Autoren eine Verhaltenstestbatterie vorgeschlagen, die sich aus Tests zusammensetzt, von denen angenommen wird, dass sie im Vergleich zu anderen Aufgaben und Paradigmen ein höheres Maß an Bewusstsein erfordern. Die Bewusstseins-Testbatterie für Nagetiere umfasst etwa folgende Tests: Arbeitsgedächtnis im Radialarm-Labyrinth, episodisches Gedächtnis, prospektives Gedächtnis, Umwegtest und operante Konditionierung mit gleichzeitigen Zeitplänen mit variablem Intervall und variablen Verhältnissen. Die Leistung in dieser Testbatterie kann dann mit der Leistung in Paradigmen und Tests verglichen werden, die ein geringeres Maß an Bewusstsein erfordern. Zusätzlich wird eine zweite, umfassendere Verhaltenstestbatterie vorgeschlagen, um Verhaltensphänotypen zu kontrollieren, die nicht mit dem Bewusstsein zusammenhängen, sodass diese Theorie als Leitfaden für die Entschlüsselung der neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins dienen könnte. Konkret wird der Mensch, das Versuchstier oder die Künstliche Intelligenz mit einem neuartigen Problem konfrontiert, das nur durch die Kombination von zwei oder mehr Regeln gelöst werden kann, die in einem anderen Kontext erlernt wurden. Diese kreative Kombination von gespeicherten Informationen und das Anwenden auf ein neues Problem kann nur unter Beteiligung von bewussten kognitiven Operationen erfolgen. Dabei muss natürlich überprüft werden, inwieweit auch eine Künstliche Intelligenz, die eigenständig ein neues und komplexes Problem lösen kann, für das sie keinen vorgegebenen Lösungsalgorithmus besitzt, als bewusstseinsfähig angesehen werden kann.
Literatur
Zlomuzica, Armin & Dere, Ekrem (2021). Towards an animal model of consciousness based on the platform theory. Behavioural Brain Research, 419, doi:10.1016/j.bbr.2021.113695.
https://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2021-12-20-psychologie-bewusstsein-bei-mensch-tier-und-kuenstlicher-intelligenz-erklaeren (21-12-20)