Die Bedeutung selbstgesteuerten Lernens hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, da gesellschaftliche, technologische und arbeitsweltbezogene Entwicklungen immer deutlicher zeigen, dass Lernende zunehmend Verantwortung für ihre eigene Weiterbildung übernehmen müssen. Ein zentraler Treiber ist die Forderung nach lebenslangem Lernen: In einer von stetigem Wandel geprägten Gesellschaft verlieren lineare Berufsbiografien an Relevanz, während flexible Arbeitsmärkte kontinuierliche Neuorientierung und Weiterqualifizierung verlangen (European Commission, 2020). Individuen müssen sich daher beständig mit neuen Aufgabenfeldern auseinandersetzen und ihre Kompetenzen anpassen. Mit diesem Wandel einher geht eine steigende Erwartung an Eigenverantwortung. Da sich berufliche Tätigkeiten immer stärker ausdifferenzieren und Spezialisierungen zunehmen, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst am besten einschätzen, in welchen Bereichen sie zusätzlichen Qualifizierungsbedarf haben. Selbststeuerung bietet eine Möglichkeit, individuelle Lernwege passgenau zu gestalten und so der Vielfalt beruflicher Anforderungen gerecht zu werden (Knowles, 1975).
Die Digitalisierung verstärkt diese Entwicklung zusätzlich. Da Wissen jederzeit verfügbar ist, verschieben sich die Anforderungen in der Weiterbildung: Nicht mehr die reine Wissensaufnahme steht im Mittelpunkt, sondern die Fähigkeit, Informationen kritisch zu bewerten, zu transferieren und in konkrete Handlungskompetenzen zu überführen. Selbstgesteuertes Lernen unterstützt daher nicht nur die Aneignung von Wissen, sondern auch die Entwicklung effektiver Strategien zur Bewältigung komplexer Informationsumgebungen (Redecker, 2017). Auch lernpsychologische Perspektiven unterstreichen die Notwendigkeit selbststeuernden Lernens. Aus konstruktivistischer Sicht wird Wissen nicht einfach übertragen, sondern entsteht aktiv in Auseinandersetzung mit Vorwissen und persönlichen Erfahrungen. Selbstgesteuerte Lernprozesse ermöglichen Lernenden, neue Inhalte sinnhaft zu verknüpfen und im eigenen Tempo zu verarbeiten, was nachhaltigere Lernresultate begünstigt (Illeris, 2018). Hinzu kommt, dass Lernende hochgradig heterogen sind – hinsichtlich Motivation, Vorerfahrung, Lernstrategien und Lebenssituationen. Einheitliche Angebote können diese Vielfalt kaum abdecken. Selbstgesteuertes Lernen eröffnet dagegen Wege zur Individualisierung, indem es flexible Lernformen, differenzierte Aufgabenformate und adaptive Lernziele zulässt (Schneider & Stern, 2010). Nicht zuletzt rückt das „Lernen des Lernens“ zunehmend in den Fokus. In einer Arbeitswelt, die sich kontinuierlich verändert, gelten metakognitive Kompetenzen wie Selbstreflexion, Planung, Zielsetzung und Lernstrategien als grundlegende Voraussetzung, um langfristig handlungsfähig zu bleiben. Selbstlernkompetenzen bilden daher eine zentrale Grundlage für die erfolgreiche Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Anforderungen (Zimmerman, 2002).
Literatur
European Commission. (2020). European skills agenda for sustainable competitiveness, social fairness and resilience. Publications Office of the European Union.
Illeris, K. (2018). Contemporary theories of learning (2nd ed.). Routledge.
Knowles, M. S. (1975). Self-directed learning: A guide for learners and teachers. Association Press.
Redecker, C. (2017). European framework for the digital competence of educators (DigCompEdu). Publications Office of the European Union.
Schneider, W., & Stern, E. (2010). The cognitive perspective on learning: Advances in theory and research. SAGE.
Zimmerman, B. J. (2002). Becoming a self-regulated learner: An overview. Theory Into Practice, 41(2), 64–70.