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Sensible Phasen bei der Gehirnentwicklung

    Bei einer Untersuchung (Luby et al., 2016) fertigte man regelmäßig Gehirn-Scans von Kindern von der Vorschule bis zu frühen Jugend an. Dabei zeigte sich, dass diejenigen Kinder einen stärkeren Anstieg des Volumens des Hippocampus aufwiesen, deren Mütter sie insbesondere in den Vorschuljahren unterstützt und gefördert hatten. Dieser Bereich des Gehirns ist entscheidend für das Lernen, das Gedächtnis und die Gefühlskontrolle. Im Gegensatz dazu erschien der Hippocampus kleiner bei Jugendlichen, deren Mütter während der Vorschulzeit weniger unterstützend waren, selbst wenn ihnen ihre Mütter in der Grundschule oder Mittelstufe mehr Unterstützung zukommen ließen. Mütter, die ihre Kinder im Vorschulalter unterstützen, fördern also offensichtlich das Gehirnwachstum vor allem in jenen Bereichen, die mit für Lernen, Gedächtnis und Stressreaktionen verantwortlich sind, während sich dies bei Kindern, die erst in der Grundschulzeit mehr Aufmerksamkeit erhielten, weniger stark auf die Gehirnentwicklung auswirkt. Dabei verdoppelte sich das Wachstum des Hippocampus bei Kindern, die durch ihr Mütter überdurchschnittlich stark angeregt wurden, im Vergleich zu Kindern, die nur mäßig unterstützt wurden. Vermutlich gibt es eine sensible Phase, in der das Gehirn stärker auf mütterliche Unterstützung reagiert, d. h., das Gehirn ist in diesen jungen Jahren noch formbarer als bei älteren Kindern, sodass es wichtig scheint, dass Kinder in dieser Zeit eine besondere Unterstützung und Pflege erhalten.

    Das Bucharest Early Intervention Project

    ist eine Langzeitstudie, die in den 1990er Jahren in Rumänien begann und sich auf Kinder konzentrierte, die in staatlichen Waisenhäusern unter oft vernachlässigenden Bedingungen aufwuchsen. Die Studie wurde durchgeführt, um die langfristigen Auswirkungen von Vernachlässigung und mangelnder emotionaler Unterstützung auf die Entwicklung von Kindern erneut zu untersuchen und insbesondere zu verstehen, wie frühe Interventionen die Entwicklung von Kindern beeinflussen können, die in ihren ersten Lebensjahren einen Mangel an emotionaler Bindung und Anregung erfahren haben. Die Studie verglich Kinder, die in Waisenhäusern aufwuchsen, mit Kindern, die in Familien adoptiert wurden, und untersuchte die Auswirkungen gezielter Interventionen auf die kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten der Kinder.

    Das „Bucharest Early Intervention Project“ bestätigte im Großen und Ganzen die Bedeutung frühkindlicher Förderung, wobei die Kinder im Alter von 2, 3, 4, 8, 12 und 16 Jahren untersucht wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigten erneut, dass eine frühe Heimunterbringung sowohl zu tiefgreifenden Intelligenzdefiziten als auch zu sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Kinder, die in Heimen aufwuchsen, zeigten beispielsweise Defizite im Bindungsverhalten, in der Sprachfähigkeit und neigten eher zu psychiatrischen Auffälligkeiten. Die Kinder, die in Pflegefamilien aufwuchsen, entwickelten sich dagegen besser und unterschieden sich auch in ihrer Intelligenz: Obwohl alle Kinder einen eher niedrigen Intelligenzquotienten aufwiesen, schnitten die Kinder, die vor dem Alter von zwei Jahren in eine Pflegefamilie kamen, in IQ-Tests im Jugendalter besser ab.

    Der Unterschied in der Denkfähigkeit der Kinder lässt sich vermutlich auf die Pflegesituation im Kleinkindalter zurückführen, d.h. es könnte eine sensible Phase für die Ausprägung der Denkfähigkeit geben, d.h. ein Zeitfenster, in dem das Gehirn besonders sensibel auf Erfahrungen reagiert. Vermutlich gibt es verschiedene sensible Phasen in der Hirnentwicklung, denn nicht alle Hirnregionen reifen gleich schnell, aber wahrscheinlich schließt sich nach den ersten beiden Lebensjahren ein Zeitfenster für die Entwicklung der Intelligenz, denn je früher ein Kind in eine Pflegefamilie kam, desto besser entwickelte es sich. Offenbar ist es in dieser Phase besonders wichtig, Kontakt zur Umwelt und zu Menschen zu haben, ausreichend Interaktion und Feedback zu erfahren, um die lernfähigen und lernwilligen Teile des Gehirns bestmöglich zu unterstützen.

    Literatur

    Luby, Joan L.,  Belden, Andy, Harms, Michael P., Tillma, Rebecca & Barch, Deanna M. (2016). Preschool is a sensitive period for the influence of maternal support on the trajectory of hippocampal development. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113, 5742-5747.
    Stangl, W. (2023, 19. Dezember). Das Bucharest Early Intervention Project. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4827/das-bucharest-early-intervention-project