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Sind kreative Menschen tendenziell unethischer?

    Laut einer Metaanalyse (Storme, Celik & Myszkowski, 2021) stehen Kreativität und Unethik in einem positiven Zusammenhang. In zahlreichen Studien wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Kreativität und Unethik festgestellt, in anderen wiederum nicht, was Zweifel aufkommen lässt, ob es überhaupt einen Zusammenhang gibt. Ein möglicher Grund für diese widersprüchlichen Ergebnisse könnte in den Methoden liegen, die zur Messung der Konstrukte verwendet werden (d. h. Selbsteinschätzung oder objektivere Messungen).

    Es gibt mehrere theoretische Erklärungen für den positiven Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten. Die erste ist, dass kreative Menschen dazu neigen, ein starkes Anspruchsdenken zu haben, wenn sie den hohen Wert ihrer zukünftigen Verwirklichung antizipieren, was sie eher bereit macht, Grenzen zu überschreiten, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn sie sich mit einer kreativen Aufgabe befassen, sehen sie den Nutzen ihres Produkts voraus, was sie dazu veranlasst, unethische Verhaltensweisen zu legitimieren, die das Erreichen dieses Ziels erleichtern können. Mit anderen Worten: Kreative Menschen neigen dazu, zu glauben, dass der Zweck die Mittel heiligt.

    Das zweite Argument lautet, dass Kreativität dazu beiträgt, Rechtfertigungen für unethische Handlungen zu finden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, sich auf solche Verhaltensweisen einzulassen. Kreative Menschen sind aufgrund ihrer größeren kognitiven Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, eher in der Lage, unethisches Verhalten zu rechtfertigen.

    Der dritte Grund für diese positive Korrelation ist, dass sowohl Kreativität als auch Unethik Regelverstöße und nonkonformistische Prozesse beinhalten, wobei aus dieser Perspektive diese Konstrukte positiv assoziiert sind, weil sie die gleichen kognitiven Prozesse beinhalten.

    In die Meta-Analyse wurden insgesamt 6 783 Teilnehmer aus 36 Studien in 19 Artikeln einbezogen. Die Studien mussten verschiedene Kriterien erfüllen, u. a. die Manipulation/Einbeziehung eines Maßes für Kreativität und Unethik, ausreichende statistische Informationen zur Schätzung einer Effektgröße und erwachsene Teilnehmer (im Gegensatz zu Kindern). Die Studien wurden nach demografischen Informationen (z. B. Anzahl der Teilnehmer, Durchschnittsalter) sowie nach verschiedenen Merkmalen kodiert, z. B. nach den zur Bewertung der wichtigsten Variablen verwendeten Messgrößen. Die Messungen wurden als Fremdberichte und Tests oder als Selbstberichte kodiert.

    Man fand dabei einen positiven – wenn auch schwachen – Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten. Analysen nach Art der Messung von Unethik (d. h. objektive Messungen gegenüber Selbstberichten) ergaben, dass die beiden Konstrukte nur in Studien, die sich auf objektive Messungen von Unethik stützen, positiv assoziiert sind, nicht aber in Studien, die sich auf Selbstberichte über unethisches Verhalten stützen. Da objektive Messgrößen weniger durch soziale Erwünschtheit verzerrt sind, ist es wahrscheinlicher, dass die beobachteten Korrelationen in Studien, die sich auf solche Messgrößen stützen, eine genaue Schätzung der Korrelation zwischen Kreativität und Unethik liefern. Die Messmethode für Kreativität hatte hingegen keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen den beiden Konstrukten. Auch die demografischen Merkmale (d. h. Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status) hatten keinen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten, was darauf hindeutet, dass dieser Zusammenhang unabhängig von demografischen Merkmalen ist. Allerdings hat man die zugrundeliegenden Prozesse, die Kreativität und Unethik miteinander verbinden, aufgrund der wenigen verfügbaren Studien nicht untersuchen können.

    Literatur

    Storme, M., Celik, P., & Myszkowski, N. (2021). Creativity and unethicality: A systematic review and meta-analysis. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 15, 664–672.






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