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Tanzen und Gehirn

    Die Tierforschung zeigt, dass eine Kombination aus körperlicher Aktivität und sensorischer Anreicherung die größte und einzige nachhaltige Wirkung auf die Neuroplastizität hat, wobei Tanzen als menschliches Pendant zu einer solchen kombinierten Intervention gilt, da es sowohl körperliche als auch kognitive Funktionen fordert. Rehfeld et al. (2018) verglichen nun in einer Studie die Wirkung eines Tanzprogramms mit den Effekten klassischer Fitness- und Kraftübungen wie Hanteltraining, Stretching, Schwimmen, Fahrradergometer und Walking. Für die vorliegende explorative Studie hat man dabei ein besonders anspruchsvolles Tanzprogramm entwickelt, bei dem ältere Teilnehmer ständig neue und zunehmend schwierigere Choreografien lernen mussten. Für die Analyse von MRT-Daten wurde eine neue Methode der voxelbasierten Morphometrie (VBM) eingesetzt, die speziell für paarweise Längsschnittvergleiche zwischen Gruppen entwickelt wurde. Nach sechs Monaten hatte sich in der Tanzgruppe die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit sowie der Gleichgewichtssinn und die Beweglichkeit der Teilnehmenden verbessert, in der Fitnessgruppe hingegen nur die Wachsamkeit. Nach einem weiteren Jahr hatten sich auch die verbalen Fähigkeiten der Tänzerinnen und Tänzer verbessert. Im Gehirn hatte sich durch das Tanzprogramm das Volumen der weißen Substanz (cingulärer Cortex, Insula, Corpus callosum und sensomotorischer Cortex) vergrößert. Tanzen wirkte sich unter anderem positiv auf das Herz-Kreislauf- und Atmungssystem sowie auf den Gleichgewichtssinn aus. Bei über 65-Jährigen, die regelmäßig an einem Tanzprogramm teilnahmen, verbesserten sich die Konzentrationsfähigkeit, die Auffassungsgabe und die Reaktionsgeschwindigkeit. Positive Effekte des Tanzens auf die kognitiven Fähigkeiten konnten sogar bei Menschen mit Demenz der Stufen 1 und 2 festgestellt werden.

    In einem Experiment mit 80 Probandinnen und Probanden, das sowohl Paartänze mit als auch ohne Musik umfasste, wurde unter anderem die Rolle visueller Reize beim Tanzen analysiert. Dabei wurde teilweise die Sicht der Teilnehmenden eingeschränkt, um die Wirkung der visuellen Wahrnehmung zu messen. Die Ergebnisse zeigten, dass visuelle Informationen eine größere Rolle spielen als der akustische Takt: Sobald sich die Tanzenden sehen konnten, orientierten sie sich stärker aneinander als an der Musik. Besonders auffällig war dabei das sogenannte „Bouncen“, also kleine rhythmische Kniebewegungen. Diese subtilen Bewegungen erzeugten eine besonders hohe neuronale Aufmerksamkeit und förderten die Synchronität zwischen den Tanzpartnern. Neurowissenschaftlich betrachtet konnten die Forschenden ein spezifisches neuronales Signal identifizieren, das nicht nur die Bewegung eines einzelnen Tänzers abbildet, sondern aus der Interaktion der beiden Tanzenden hervorgeht. Dieses Signal spiegelt die Qualität der Synchronisation wider und deutet auf komplexe zwischenmenschliche Prozesse im Gehirn hin, die über die Summe individueller Bewegungen hinausgehen. Die Erkenntnisse ergänzen frühere Studien, die feststellten, dass synchrones Tanzen in Gruppen zur Ausschüttung von Endorphinen führt und damit Schmerzempfinden reduziert sowie soziale Bindungen stärkt.

    Literatur

    Bigand, F., Bianco, R., Abalde, S. F. & Novembre, G. (2024). The geometry of interpersonal synchrony in human dance. Current Biology, 34, 3011–3019.
    Rehfeld, K., Lüders, A., Hökelmann, A., Lessmann, V., Kaufmann, J., Brigadski, T., Müller, P., & Müller, N. G. (2018). Dance training is superior to repetitive physical exercise in inducing brain plasticity in the elderly. PloS one, 13, doi:10.1371/journal.pone.0196636.
    Stangl, W. (2024, 17. April). Körperliche Synchronisation im Paartanz: Einfluss von Musik und visueller Wahrnehmung. arbeitsblätter news.
    https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/koerperliche-synchronisation-im-paartanz-einfluss-von-musik-und-visueller-wahrnehmung/.






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