Expertenkommentare von Psychologinnen und Psychologen der Universität Bamberg zum Thema Adipositas bzw. Behandlung von Übergewicht
In der Behandlung psychologischer Aspekte bei Ess- und Gewichtsstörungen haben sich insbesondere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen bewährt, wobei individuelle Faktoren berücksichtigt werden müssen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung problematischer Verhaltensmuster beteiligt sind. Das bedeutet nichts anderes, als dass man Adipositas immer als ein individuelles Problem betrachten muss, und für jeden Einzelnen einen Behandlungsplan entwickeln muss. Psychologische Faktoren, wie Selbstkontrolle, Motivation oder der Umgang mit emotionaler Belastung, haben Einfluss darauf, ob wir Gewicht zunehmen und wie gut es gelingt, erfolgreich abzunehmen. Diese Faktoren können beeinflussen, was und wieviel man isst und in welchem Ausmaß man sich sportlich betätigt. Dabei sollte auch das Geschlecht berücksichtigt werden, denn Männer und Frauen unterscheiden sich dabei. Frauen berichteten, dass sie eine langfristig erfolgreiche Gewichtsabnahme vor allem durch strikte Kontrolle beim Essen erreichen, wobei ihnen soziale Unterstützung zusätzlich half. Männer setzen dagegen flexible Strategien ein, um ihr Ess- und Bewegungsverhalten zu kontrollieren und langfristig erfolgreich abzunehmen. Unterstützen kann man das abnehmen auch mit Apps, wobei Apps den großen Vorteil haben, dass sie zeitlich und örtlich weitgehend unabhängig genutzt werden können, sodass eine gewisse Individualisierung möglich ist und die Nutzung durchaus auch anonym sein kann. Dabei ist die Schwelle, sich Unterstützung zu holen, niedriger, den gerade beim Thema Übergewicht befürchten viele Betroffene Vorurteile. In vielen Fällen kann daher die Nutzung einer App durchaus erfolgreich und ausreichend sein, in anderen Fällen wird sie wenigstens die Ängste reduzieren, sich weiterführende Hilfen zu suchen.
Möglicher Mechanismus für Übergewicht
Das Gehirn reguliert die Nahrungsaufnahme in Abhängigkeit vom inneren Energiebedarf und der Verfügbarkeit von Nahrung. Aber kann die interne Energiespeicherung die Art der Gedächtnisbildung beeinflussen? Berger et al. (2024) untersuchten an der Taufliege Drosophila melanogaster, wie das Gehirn die Nahrungsaufnahme steuert. Insulin-ähnliche Moleküle regulieren die Nahrungsaufnahme, und der Neurotransmitter Octopamin, ähnlich wie Noradrenalin, entscheidet, ob Erinnerungen an Kohlenhydrate im Kurz- oder Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Octopamin ist für das Kurzzeitgedächtnis nicht notwendig, da Octopamin-defiziente Mutanten je nach internem Energiestatus ein appetitbezogenes Kurzzeitgedächtnis für Saccharose und andere Nährstoffe ausbilden können. Diese Entscheidung hängt dabei von den internen Energiereserven ab und beeinflusst das zukünftige Fressverhalten. Experimente haben gezeigt, dass sich die Wahrnehmung von Kohlenhydraten bei leichtem Fasten und reduziertem Glykogenspiegel verändert. Ein hoher Glykogenspiegel führte zu einem geringeren Belohnungseffekt der Nahrungsaufnahme, was das Bedürfnis nach weiterer Nahrungsaufnahme steigerte. Bei ausreichender Energiezufuhr wurde die Bildung eines Langzeitgedächtnisses für die Nahrungsquelle unterdrückt, unabhängig vom Nährstoffgehalt. Früher in den Anfängen der Menschheit war dieser Mechanismus nützlich, um Energiereserven anzulegen, heute kann er zu Übergewicht führen. Obwohl ähnliche Studien am Menschen fehlen, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein ähnlicher Mechanismus auch beim Menschen existieren und das Abnehmen erschweren könnte. Es wird vorgeschlagen, in Zukunft Methoden zu entwickeln, um dieses Langzeitgedächtnis zu löschen und so die Gewichtsabnahme zu erleichtern. Hungern kann demnach langfristig übermäßiges Essen begünstigen, da es das Langzeitgedächtnis dazu veranlasst, eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr als besonders belohnend zu speichern.
Literatur
Berger, Michael, Fraatz, Michèle, Auweiler, Katrin, Dorn, Katharina, El Khadrawe, Tanna & Scholz, Henrike (2024). Octopamine integrates the status of internal energy supply into the formation of food-related memories. eLife , doi:10.7554/eLife.88247.3.
Stangl, W. (2024, 31. Mai). Möglicher Mechanismus für Übergewicht. arbeitsblätter news.
https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/mechanismus-fuer-uebergewicht/.
https://idw-online.de/de/news715978 (19-05-21)