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Warum Menschen so sehr die Stille fürchten

    Stille ist so selten geworden, dass viele Menschen sie fürchten. Während die einen ihre Ruhe genießen, fühlen sich andere völlig unwohl, wenn sie keinen Lärm hören. Stille ist sehr wertvoll für unser Gehirn und unser Wohlbefinden, und doch versuchen die Menschen oft, sie zu vermeiden, indem sie den Fernseher oder das Radio nebenher laufen lassen. Vor allem in der Stadt ist es fast unmöglich, absolute Stille zu erleben, sei es durch den Lärm der Nachbarn, der Straße vor dem Haus, entfernter Baustellen oder einfach durch die dumpfe Geräuschkulisse der Stadt. Kein Wunder, dass viele Menschen plötzliche Stille als unangenehm und bedrohlich empfinden.

    Bei fast jeder Tätigkeit läuft etwas, z.B. Musik beim Training im Fitnessstudio, ein Podcast beim Joggen, Putzen oder Kochen, d.h. der Mensch wird mit audiovisuellen Reizen überflutet und umgekehrt sind diese über Smartphones und Tablets ständig verfügbar. Aber auch in anderen Situationen fällt es manchen Menschen schwer, Stille auszuhalten: Statt über Belanglosigkeiten zu reden, könnte man zum Beispiel mit Freunden oder Bekannten einfach schweigend spazieren gehen, anstatt jede Minute mit Worten zu füllen. Offensichtlich sind die Menschen nicht mehr an die Stille gewöhnt, weil sie selten allein sind und sie vielleicht nicht mehr so gut aushalten können. Man muss sich aktiv für die Stille entscheiden, denn statt auf dem Sofa zu sitzen und dem eigenen Atem zu lauschen, muss man erst einmal die Wohnung aufräumen, eine schnelle E-Mail schreiben oder ein Hörbuch zu Ende hören. Dabei ist es gerade diese Stille, die Menschen weiterbringt, denn die positive Wirkung von zehn Minuten Meditation am Tag ist längst erwiesen.

    Stille kann auch ein Tabu sein: Wenn man im Bus einen entfernten Bekannten trifft und keine Lust auf Smalltalk hat, fühlt man sich, statt die Fahrt schweigend zu verbringen, zum Reden verpflichtet, auch wenn man sich eigentlich nichts zu sagen hat. Denn wenn jemand schweigt, signalisiert er sofort, dass er wütend, desinteressiert, traurig oder unaufmerksam ist, und Schweigen löst oft Gefühle von Einsamkeit und Verlassenheit aus. Der wichtigste Grund ist jedoch, dass Menschen Angst haben, sich selbst zu begegnen, d.h. Stille, Schweigen und Selbstbeobachtung können für manche so beängstigend sein, weil sie in diesen Momenten mit sich selbst in Kontakt kommen müssen. Für viele ist dies mit negativen Gefühlen verbunden, die sie zu vermeiden versuchen, denn negative Gefühle gehören ebenso wenig in die Gesellschaft wie gemeinsames Schweigen.

    In der Stille kann man aber lernen, wieder auf die eigene Stimme zu hören, die einem sagt, wo es lang geht. Stille zu üben bedeutet, sich mit Ängsten und Sehnsüchten zu verbinden, Wunden zu heilen, sich selbst neu zu entdecken, Kraft zu schöpfen, anzunehmen, loszulassen und zu erkennen, was man kann und schon erreicht hat.






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