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Warum sind Kraken so intelligent?

    Weiche Kopffüßer wie Oktopusse sind außergewöhnlich intelligente wirbellose Tiere mit einem hochkomplexen Nervensystem, das sich unabhängig von Wirbeltieren entwickelt hat. Es gibt in der Evolutionsgeschichte einen letzten bekannten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Kopffüßer, und zwar ein wurmähnliches Tier mit minimaler Intelligenz. Danach teilten sich Organismen in zwei Gruppen, in jene mit und jene ohne Rückgrat. Während sich bei Wirbeltieren, insbesondere bei Primaten und anderen Säugetieren, große und komplexe Gehirne mit vielfältigen kognitiven Fähigkeiten entwickelten, war dies bei den Wirbellosen nicht der Fall. Mit einer Ausnahme, eben den Kraken, denn Kopffüßer wie Kraken haben sowohl ein zentrales Gehirn als auch ein dezentrales Nervensystem, das imstande ist, unabhängig zu handeln, und sogar wenn ein Tier einen Tentakel verliert, bleibt dieser weiterhin empfindlich für Berührungen und kann sich sogar weiter bewegen. Mit diesen acht Armen mit Saugnäpfen, dem Eingeweidesack, dem flexiblen Körper ohne Knochen und drei Herzen, die blaues Blut durch ihre Adern pumpen, gehören Kraken zu den fremdartigsten und faszinierendsten Meereswesen. Vor allem aber bestechen die Weichtiere durch ihre enorme Intelligenz, denn manche Spezies täuschen potenzielle Räuber, indem sie die Gestalt eines giftigen Tieres imitieren, oder sie verwandeln sich die formbaren Kopffüßer optisch zum Beispiel in eine Seeschlange oder einen Rotfeuerfisch, manchmal verschmelzen sie auch urplötzlich mit ihrem Untergrund, nehmen Gestalt und Farbe einer Koralle an. In Sekundenbruchteilen ändern sie ihre Hautfarbe – etwa von kreidebleich zu rostrot zu schwarz gebändert, wofür spezielle Muskeln die Form von Pigmentzellen variieren. Sie besitzen neben dem Hauptdenkorgan, das sich wie ein Ring um die Speiseröhre spannt, noch acht neuronale Zentren, jedes davon zuständig für einen der Arme.

    Zolotarov et al. (2022) haben nun versucht, eine der Ursachen dafür in der RNA-Regulierung zu finden, die eine wichtige Rolle für den kognitiven Erfolg dieser Gruppe spielen könnte. Die Forscher und Forscherinnen haben daher ein Profil von Boten-RNAs und kleinen RNAs in drei Kopffüßern erstellt, darunter in achtzehn Geweben des Octopus vulgaris. Sie konnten dabei zeigen, dass die wichtigste RNA-Innovation bei den Kopffüßlern eine Erweiterung des microRNA-Genrepertoires ist. Diese evolutionär neuartigen miRNAs wurden vor allem in adulten neuronalen Geweben und während der Entwicklung exprimiert und hatten konservierte und damit wahrscheinlich funktionelle Zielorte. Die einzigen vergleichbaren Expansionen des microRNA-Genrepertoires fanden vor allem bei Wirbeltieren statt. Offenbar sind Mikro-RNAs eng mit der Evolution komplexer Tiergehirne verbunden, wobei die Vorfahren der Tintenfische und Kalmare ihr Instrumentarium an kleinen RNAs erweitert haben, was die Entwicklung komplexer Gehirne ermöglichte. Vermutlich haben Kraken auch deshalb so komplexe Gehirnfunktionen entwickelt, damit sie ihre Arme sehr gezielt einsetzen können, etwa auch als Werkzeuge zum Öffnen von Muscheln.

    Hinzu kommt, dass Kraken und andere Kopffüßer in Gewässern leben, die je nach Jahreszeit recht warm oder recht kalt sind. Damit schwankt auch die Körpertemperatur der wechselwarmen Tiere stark, was normalerweise gefährlich für das Gehirn ist. Kraken und Kalmare schützen ihr Hirn, indem ihr Körper auf eine veränderte Umgebungstemperatur reagiert, dass er jeweils solche Proteine bildet, die für ein gutes Funktionieren des Nervensystems bei Kälte oder Wärme sorgen. Dafür passt sich der biochemische Prozess, in dem bestimmte Gene an- und ausgeschaltet werden, der Außentemperatur an. Diese Anpassung geht wohl ziemlich schnell, wie ein Experiment zeigte: Man hat Kraken in ein Aquarium gesetzt und die Temperatur langsam von 14 auf 24 Grad erhöht. Schon nach vier Tagen hatten die Körper der Tiere alle Proteine gebildet, die sie für ein gut funktionierendes Hirn in der wärmeren Umgebung brauchen.

    Literatur

    Zolotarov, Grygoriy, Fromm, Bastian, Legnini, Ivano, Ayoub, Salah, Polese, Gianluca, Maselli, Valeria, Chabot, Peter J., Vinther, Jakob, Styfhals, Ruth, Seuntjens, Eve, Di Cosmo, Anna, Peterson, Kevin J. & Rajewsky, Nikolaus (2022). MicroRNAs are deeply linked to the emergence of the complex octopus brain. Science Advances, 8, doi:10.1126/sciadv.add9938.
    https://science.orf.at/stories/3216230/ (22.11-25)
    https://www.deutschlandfunknova.de/nachrichten/temperaturschwankung-kraken-passen-ihr-gehirn-an-waerme-und-kaelte-an (23-06-22)






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