Das Hören von Musik löst oft intensive Emotionen aus, wobei neuere Forschungen nun nahelegen, dass das musikalisches Vergnügen aus positiven Vorhersagefehlern resultiert, die entstehen, wenn sich das Gehörte anders zeigt als erwartet. Zentral für diese Theorie ist die Aktivierung des Nucleus accumbens, einer Hirnregion, die bei angenehmer Musik Belohnungserwartungen und überraschende musikalische Ereignissen verarbeitet. Allerdings wird durch Erwartungsverletzungen entlang verschiedener musikalischer Dimensionen wie Harmonie oder Melodie der Nucleus accumbens nicht aktiviert. Ob Veränderungen in der musikalischen Erwartung Vergnügen auslösen, ist daher schwer zu beantworten, doch Cheung et al. (2019) zeigen nun, dass das Vergnügen von der Unsicherheit des Hörers bei der Erwartung eines musikalischen Ereignisses und der Überraschung abhängig ist, die entsteht, wenn die Musik von den Erwartungen abweicht.
Um das zu überprüfen, hat man aus über siebenhundert Popsongs der US-Billboard-Charts die Melodie, den Text und den Gesang eliminiert, sodass nur Akkorde übrig blieben, wobei im Hintergrund noch ein relativ monotoner Beat lief, damit sich das Ganze noch wie Musik anhört. Dadurch waren die Schlager nicht mehr zu erkennen, doch gleichzeitig wusste man aber, welcher Akkord als nächstes kommen wird. Die Testpersonen besaßen dieses Wissen nicht, dennoch entstanden in ihrem Gehirn konkrete Vorstellungen vom nächsten Ton oder Akkord, denn unbewusst machte deren Gehirn eine Vorhersage darüber, welcher Ton als nächstes folgen wird, wobei ihr Gehirn dabei auch ziemlich sicher ist, dass diese Vorhersage auch eintrifft. Man konnte in diesem Experiment zeigen, dass Menschen dabei für einen unerwarteten Ton oder Akkord nur dann offen sind, wenn sie eine stabile musikalische Basis haben, also dann, wenn das Gehirn sicher ist, welcher Ton als nächstes kommt. Wenn die musikalische Sicherheit fehlt und etwa eine Passage kommt, die aus einer anderen Tonart stammt, wird man beim Hören zunächst überrascht, doch geht das nur ein paar Takte lang so, bis der Schlager in die Ursprungstonart zurückkehrt. Dieser Wechsel ist daher nicht verstörend, sondern wird als überraschend und spannend wahrgenommen. Das zeigt, dass musikalische Vorhersagen nicht rational sind, denn im Gehirn werden Emotionsstrukturen aktiv, wenn die richtige Mischung von Unsicherheit und Überraschung wahrgenommen wird, was vermutlich einen guten Schlager ausmacht. Komponisten wenden dieses Prinzip seit Jahrhunderten vermutlich mehr oder weniger bewusst an, wobei die besten Komponisten wohl genau die passende Mischung zwischen Unsicherheit und Überraschung gefunden haben. Diese Ergebnisse stellen nach Ansicht der Autoren aktuelle neurokognitive Modelle des musikinduzierten Vergnügens in Frage und unterstreichen das Zusammenspiel zwischen prospektiven und retrospektiven Erwartungszuständen in der musikalischen Erfahrung.
Literatur
Cheung, Vincent K.M., Harrison, Peter M.C., Meyer, Lars, Pearce, Marcus T., Haynes, John-Dylan & Koelsch, Stefan (2019). Uncertainty and Surprise Jointly Predict Musical Pleasure and Amygdala, Hippocampus, and Auditory Cortex Activity. Current Biology, 29, 4084-4092.