Was PISA und Bologna erreichen wollten – Ein kritischer Rückblick: Waren und sind es die richtigen Ziele?
Ort: Johannes-Kepler-Universität Linz, Repräsentationsraum C.
Termin: Donnerstag, 21.1.2010, 16 Uhr.
Veranstalter: ÖFEB-Sektion Schulforschung und Schulentwicklung und ÖGS-Sektion Bildungssoziologie.
Die deutschsprachigen Bildungssysteme werden unter den Stichworten „PISA (& Co.)“ und „Bologna-Prozess“ einschneidenden Reformen unterzogen. Deren Agenden wurden in einer Zeit geschaffen, in der die westliche Welt ihre Reformstrategien an einem marktorientierten, ordo- bzw. neoliberalen wirtschaftspolitischen Credo der Deregulierung, Privatisierung und der Marktliberalisierung ausrichtete. Dies hat sich auch in den Zielsetzungen der Reformen der Bildungssysteme niedergeschlagen. Seit der Finanzmarktkrise ist aber nun jenes Credo ins Wanken geraten. Deshalb erscheint es uns passend, heuer einen Blick zurück zu werfen und die Ziele und Motivationen der bildungspolitischen Reformagenden einer kritischen Revision zu unterziehen: Waren und sind es, von heute aus betrachtet, die richtigen Ziele? Inwieweit ist es an der Zeit, wirtschafts- und bevölkerungspolitische Hintergrundvorstellungen, die in den Reformagenden angelegt sind, zu revidieren? Zu diesem Zweck laden wir zu dieser Vortrags- und Diskussionsveranstaltung ein, in der wir ökonomische und politische Hintergründe der europäischen Schul- und Universitätsreformstrategien beleuchten.
Prof. Dr. Walter Ötsch (Linz):
Der neoliberale Marktdiskurs: Denkmodell, gesellschaftlicher Siegeszug und Auswirkungen auf das Bildungssystem
Der Vortrag beginnt mit den unscheinbaren Ursprüngen des neoliberalen Markt-Diskurses in den 1930er und 40er Jahren, in der eine kleine Außenseitergruppe entschiedener marktradikaler Wissenschaftler an Strategien zu feilen begann, ihre Weltsicht zu verbreiten, und wie sie erste wirklich weit tragende Gelegenheiten dazu im Anschluss an die Öl- und Stagflationskrise Mitte/ Ende der 70er, Anfang der 1980er Jahre bekamen. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, wie der neoliberale Markt-Mythos seinen Siegeszug antritt: Wie mehr und mehr westliche Staaten ihn zur Leitlinie ihrer Wirtschaftspolitik machen, wie er den öffentlichen Diskurs durchtränkt und zu beherrschen beginnt, bis er schließlich in Form scheinbar selbstverständlicher Auffassungen die Alltagskultur der Bevölkerung prägt – und alternative Auffassungen diskreditiert. Der dritte Teil des Vortrags bietet eini- ge Thesen zur Frage, wie der neoliberale Marktdiskurs heute via Bologna und PISA&Co. die Universitäten und Schulen zu prägen begonnen hat.
Dr. Roman Langer (Linz):
Wie „PISA“ und „Bologna“ entstanden sind und wozu sie dienen sollten
Dieses Koreferat schildert zunächst, auf welche Ursachen die PISA-Vergleichsstudien zurückgehen und zeigt, dass sie bis zum Sputnik-Schock der U.S.A. zurückreichen. PISA und die Reformen, die negative PISA-Ergebnisse beheben sollen, wie Kompetenzorientierung und Bildungsstandards, erscheinen als Resultat dreier Re- formwellen, die mit ein und demselben Muster von Gründen motiviert wurden – dem Erfolg oder drohenden Misserfolg in der globalen Staatenkonkurrenz. Anschließend werden Entstehung und Motivation des Bologna- Prozesses rekonstruiert. Erläutert wird, wie sich ein zunächst langsamer und multithematischer Hochschulre- formdiskurs in zwei Schritten – ab Mitte der 1990er Jahre bis zur Sorbonne-Erklärung 1998 und im Anschluss an die Lissabon-Strategie der Europäischen Union 2000 – plötzlich zu der dynamisch voran getriebenen Reforma- genda entwickelt, die „Bologna“ heute ist. Als Quintessenz aus beiden Prozessen wird zum Schluss rekonstruiert, welche Handlungslogik und welches Bild transnationaler Beziehungen die beiden großen Reformagenden prägt.