Menschen nehmen Farbe wahr, wenn die Fotorezeptorzellen im Auge (Zapfen) in der Netzhaut aktiviert werden, wobei sie auf Lichtreize reagieren, indem sie diese in elektrische Signale umwandeln, die dann an das Gehirn weitergeleitet werden. Um Farben zu erkennen, benötigt man mehrere Arten von Zapfen, denn jede Art akzeptiert speziell einen bestimmten Wellenlängenbereich: Rot (L-Zapfen), Grün (M-Zapfen) oder Blau (S-Zapfen). Das Gehirn vergleicht dann, wie stark die jeweiligen Zapfen reagieren und löst einen Farbeindruck aus. Demnach ist es möglich, Farben objektiv zu identifizieren, indem man misst, wie stark diese die verschiedene Netzhautzapfen aktivieren, wobei in Primatenstudien gezeigt worden war, dass das visuelle System zwei chromatische Achsen hat, die von diesen Zapfen abhängig waren: Die LM-Achse vergleicht Rot mit Grün und die S-(L + M)-Achse Gelb mit Violett. Dieses Farbkoordinatensystem identifiziert Farben also danach, wie stark und auf welche Weise das frühe visuelle System aktiviert wird. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass starke Gamma-Band-Oszillationen im frühen visuellen Cortex von Primaten durch homogene Farbflächen induziert werden können, wobei im Vergleich zu anderen Farbtönen besonders starke Gamma-Oszillationen für rote Reize berichtet wurden. Dabei wurden die präkortikale Farbverarbeitung und die daraus resultierende Stärke des Inputs m frühen visuellen Cortex jedoch oft nicht vollständig kontrolliert, sodass stärkere Reaktionen auf Rot auf Unterschiede in der Stärke des Eingangs zurückzuführen sein könnten.
Stauch et al. (2022) präsentierten in einer aktuellen Untersuchung nun Stimuli mit gleicher Luminanz und gleichem Zapfenkontrast in einem Farbkoordinatensystem, das auf den Reaktionen des Nucleus geniculatus lateralis basiert, der Haupteingangsquelle für den frühen visuellen Cortex. Mit diesen Stimuli zeichnete man die Magnetoenzephalographie bei menschlichen Teilnehmern auf, und fand Gamma-Oszillationen im frühen visuellen Cortex, die sich im Gegensatz zu früheren Berichten nicht zwischen roten und grünen Stimuli mit gleichem Zapfenkontrast unterschieden. Insbesondere blaue Stimuli, deren Kontrast ausschließlich auf der S-Zapfen-Achse lag, lösten nur sehr schwache Gamma-Antworten aus, ebenso wie kleinere ereigniskorrelierte Felder und eine schlechtere Leistung bei der Erkennung von Veränderungen. Die Stärke der menschlichen Farb-Gamma-Antworten für Stimuli auf der L-M-Achse könnt daher gut durch den L-M-Zapfenkontrast erklärt werden und zeigte keine eindeutige Rot-Verzerrung, wenn der L-M-Zapfenkontrast richtig ausgeglichen war.
Literatur
Stauch, Benjamin J., Peter, Alina, Ehrlich, Isabelle, Nolte, Zora, Fries, Pascal, Colgin, Laura L. & Moore, Christopher I. (2022). Human visual gamma for color stimuli. eLife, 11, doi:10.7554/eLife.75897.
https://www.neueschweizerzeitung.ch/die-wirkung-der-farbe-rot-auf-gehirnstroeme/ (22-10-10)