Viele psychische und verhaltensbezogene Herausforderungen im Erwachsenenalter lassen sich auf frühkindliche Erfahrungen und elterliche Erziehungsstile zurückführen. Zentral ist die Erkenntnis, dass das Verhalten von Eltern einen nachhaltigen Einfluss auf das Selbstbild und die Bewältigungsstrategien ihrer Kinder hat – oft ein Leben lang. Menschen, die im Erwachsenenalter Schwierigkeiten haben, „Nein“ zu sagen, Entscheidungen hinauszögern oder übermäßig perfektionistisch sind, tragen häufig unbewusste Prägungen aus ihrer Kindheit mit sich.
Ein zentrales Konzept dabei ist die Selbstwirksamkeit – das Gefühl, durch eigenes Handeln etwas bewirken zu können. Diese Fähigkeit entsteht nur, wenn Kinder eigene Erfahrungen machen dürfen, inklusive Fehlern. Wird ihnen diese Möglichkeit durch überfürsorgliche oder kontrollierende Eltern genommen, fehlt ihnen später das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Aussagen wie „Ich mach das für dich“ oder „Du bist noch zu klein dafür“ mögen fürsorglich gemeint sein, können aber dazu führen, dass Kinder zu unselbstständigen Erwachsenen heranwachsen.
Auch Prokrastination – das ständige Aufschieben von Aufgaben – kann aus einer Kindheit resultieren, in der es an klaren Regeln, Grenzen und Konsequenzen mangelte. Fehlende Struktur führt dazu, dass wichtige „Disziplinmuskeln“ nie trainiert werden. Zusätzlich kann die Angst zu scheitern (oder sogar zu erfolgreich zu sein) Ausdruck eines tiefsitzenden inneren Glaubenssatzes wie „Ich bin nicht gut genug“ sein.
Ein weiteres häufiges Muster ist Perfektionismus, der nicht als angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern als erlernte Bewältigungsstrategie verstanden werden sollte. Wer in der Kindheit nur dann Anerkennung erhielt, wenn er besonders viel leistete oder besonders „gut“ war, entwickelt häufig das Gefühl, ständig 150 Prozent geben zu müssen, um akzeptiert zu werden. Dieses Verhalten wird oft von Overthinking begleitet – einem ständigen Grübeln, um Fehler zu vermeiden und sich gegen mögliche negative Konsequenzen abzusichern. Auch hier liegt die Wurzel häufig in einem mangelnden Selbstwertgefühl, das sich aus dem kindlichen Erleben entwickelt hat.
Eltern tragen daher eine große Verantwortung, wie der Psychologe betont. Gleichzeitig warnt er davor, durch diese Erkenntnisse Angst oder Schuldgefühle zu erzeugen. Keine Erziehung ist fehlerfrei – entscheidend ist vielmehr, sich der eigenen Prägungen bewusst zu werden, reflektiert zu handeln und Kindern Raum zur Entfaltung zu geben. Wie erfolgreich eine Erziehung letztlich war, zeigt sich erst viele Jahre später, wenn Kinder als Erwachsene auf ihre Erfahrungen zurückblicken können.