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Zufall und Psychologie beim Spiel

    Zufall ist ein Wort ohne Sinn. Nichts kann ohne Ursachen existieren.
    Voltaire

    Bei vielen Spielen entscheidet bekanntlich der Zufall, wer dabei gewinnt, etwa beim Spiel „Schnick-Schnack-Schnuck“, auch als „Schere, Stein, Papier“, „Ching, Chang, Chong“, „Klick, Klack, Kluck“, „Stein schleift Schere“ oder „Schnibbeln, Knobeln oder Schniekern“ bekannt. Das Spiel wird ausschließlich mit den Händen gespielt, wobei den Handhaltungen Symbole zugeordnet werden, die einander „schlagen“ können. Die drei Hauptfiguren sind Schere, Stein und Papier. Das Papier wird durch eine flache Hand mit ungespreizten Fingern dargestellt, das Symbol der Schere ist der gespreizte Zeige- und Mittelfinger, und der Stein wird durch eine Faust symbolisiert. Ziel des Spieles ist es, eine höherwertige Handhaltung zu haben als der Gegner. Damit keiner der Spieler einen Nachteil durch verfrühtes Zeigen seiner Handhaltung bekommt, bewegen beide Spieler ihre rechte Hand noch zur Faust geballt vor sich auf und ab und sprechen dabei zusammen den Namen des Spiels, zählen bis drei oder Ähnliches. Die Wertigkeit der Symbole gegeneinander ergibt sich aus dem jeweils Dargestellten: Die Schere schneidet das Papier (Schere gewinnt), das Papier wickelt den Stein ein (Papier gewinnt), und der Stein macht die Schere stumpf (Stein gewinnt). Entscheiden sich beide Spieler für dasselbe Symbol, wird das Spiel als Unentschieden gewertet und wiederholt.

    Allerdings spielt bei den Entscheidungen die Psychologie eine große Rolle, die man sich zunutze machen kann. Rein objektiv betrachtet entscheidet der Zufall, wer welches der drei Objekte wählt, doch Menschen denken selbst bei einfachen Spielen sehr viel nach bzw. sie lassen sich von Gefühlen leiten. Kennt man nämlich die psychologischen Mechanismen, nach denen Mitspieler sich für eine Objekt entscheiden, kann man dies nutzen, um seine eigene Strategie anzupassen: Bei einer Niederlage spielen Menschen nämlich häufiger das Objekt, mit dem sie das letzte Objekt des Gegners geschlagen haben, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie dabei bleiben. Bei einem Sieg, wählt man daher das letzte Objekt des Gegners, denn auch hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser sich für das nächstniedrige Objekt entscheidet. Bei einem Unentschieden wählt man am besten das Objekt, mit dem man in der Runde zuvor verloren hätte, denn in der folgenden Runde gewinnt man damit eher.

    Die psychologische Forschung zeigt, dass der Umgang mit Zufall Menschen grundsätzlich schwerfällt, dennr sie glauben oft, zufällige Entscheidungen oder Reihenfolgen treffen zu können, tatsächlich unterliegen sie dabei jedoch systematischen Verzerrungen. Etwa neigen Menschen dazu, bei der Erzeugung vermeintlich zufälliger Zahlen- oder Entscheidungsfolgen Wiederholungen zu vermeiden, da sich solche Wiederholungen nicht mit ihrer intuitiven Vorstellung von Zufall vereinbaren lassen. Ein Beispiel: Wird eine „1“ gewürfelt, erscheint es vielen unwahrscheinlich, dass erneut eine „1“ fällt – obwohl bei einem echten Würfelwurf jede Zahl die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Dieses Alternieren von Ergebnissen führt dazu, dass ihre „zufälligen“ Entscheidungen letztlich zu regelmäßig ausfallen. Boger et al. (2025) haben in einer aktuellen Studie nicht nur danach gefragt, ob Menschen zufälliges Verhalten erzeugen können, sondern auch, wie individuell und stabil dieses Verhalten über verschiedene Kontexte hinweg ausfällt. In drei umfangreichen Experimenten baten sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer darum, wiederholt Zufallsfolgen zu generieren – sowohl in Form von Zahlenreihen als auch in räumlich unterschiedlichen Tastendrücken, wobei sich zeigte, dass jeder Mensch offenbar über eine Art „inneren Zufallsgenerator“verfügt, der sich von Person zu Person unterscheidet, aber innerhalb eines Individuums sehr konsistent bleibt. Diese Konsistenz zeigte sich nicht nur über verschiedene Aufgaben hinweg, sondern sogar über längere Zeiträume, denn in einem dritten Experiment wiederholte man die Tests mit denselben Personen nach einem Jahr und erhielt nahezu identische Ergebnisse. Die Art und Weise, wie Menschen Zufall „produzieren“, scheint also ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein, vergleichbar mit Eigenschaften wie Extraversion oder Risikobereitschaft. Menschen sind damit auf eine paradoxe Weise berechenbar unberechenbar, d. h., ihr scheinbar zufälliges Verhalten folgt individuellen Mustern, die sich statistisch erfassen und vorhersagen lassen. Zufall ist also nicht nur ein äußeres Prinzip der Welt, sondern auch ein psychologisches Phänomen mit individueller Prägung und mit stabilen Mustern, d. h., Menschen können sich nicht beliebig erratisch verhalten, denn ihre Fähigkeit, den Zufall zu „simulieren“, ist begrenzt und scheint mehr von ihrer Persönlichkeit als von ihrem Willen abhängig zu sein.
    Literatur
    Boger, T., Yousif, S. R., McDougle, S. D. & Rutledge, R. B. (2025). Random behavior is stable across tasks and time. Journal of Experimental Psychology, doi:10.1037/xge0001755.
    Stangl, W. (2025, 17. April). Die berechenbare Unberechenbarkeit: Über die individuelle Stabilität zufälligen Verhaltens. 🧑‍🎓 Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/5742/die-berechenbare-unberechenbarkeit-ueber-die-individuelle-stabilitaet-zufaelligen-verhaltens.