18.01.2009 | 19:29 | CHRISTOPH SCHWARZ (Die Presse)
Viele Studenten beginnen erst jetzt, eigentlich schon zu spät, mit den Vorbereitungen für den Prüfungsreigen Ende Jänner. Die Erfolgsaussichten der Schnelllernmethoden sind unterschiedlich.
Seit einigen Tagen ist Christian ungewöhnlich schwer zu erreichen. Das Handy hat er meist abgedreht, seit der Früh schon sitzt er alleine in der Uni-Bibliothek. Grund: Der 24-Jährige ist, was seine Prüfungen auf der Uni angeht, ein Spätentschlossener. Mindestens drei Zeugnisse möchte er sich in diesem Semester noch holen – Lehrstoff und Skripten waren ihm bis vor knapp einer Woche jedoch weitgehend unbekannt. Während der vergangenen Monate habe ihm „halt einfach die Zeit gefehlt“, sich vorzubereiten, sagt Christian.
Jetzt arbeitet der Oberösterreicher dafür auf Hochtouren, und das ohne Kompromisse. Christian setzt auf Nachtschichten, schwarzen Kaffee und Koffeintabletten. Die nötigen Lernunterlagen hat er bereits von einer Studienkollegin kopiert, jetzt geht es ans Anstreichen und Exzerpieren. Ob er den gesamten Stoff bis zum Prüfungstermin durcharbeiten kann, weiß er noch nicht: „Es wird, wie immer bei mir, ziemlich knapp.“
Mit seinem Problem ist Christian nicht alleine. Viele Studenten beginnen erst jetzt, da es eigentlich schon zu spät ist, mit den Vorbereitungen für den Prüfungsreigen Ende Jänner. Ob die unzähligen Seiten Lernstoff noch zu bewältigen sein werden, ist unklar.
Tipps und Methoden, wie man es vielleicht doch noch schaffen kann, gibt es viele. Die meisten erkennt man schon an ihren Namen, die scheinbar verpflichtend englische Attribute wie „speed“ oder „power“ enthalten müssen. Wer die Techniken beherrscht, so die vollmundigen Versprechen, kann Unglaubliches schaffen.
Etwa mit Hilfe von „Super Reading“, gerne auch „Highspeed Reading“ genannt. Bis zu 25.000 Wörter könne ein geübter Leser pro Minute erfassen – und sich das soeben Gelesene natürlich auch merken. Zum Vergleich: Die übliche Lesegeschwindigkeit liegt bei rund 160 bis 180 Wörtern pro Minute. 20 Bücher an einem Vormittag seien so kein Problem, werben die Veranstalter meist teurer Seminare im Internet.
300 Seiten Prüfungsstoff in fünf Minuten
Wie aber kann „Super Reading“ funktionieren? Wichtig sei, sich nur auf die wichtigen Informationen eines Textes – rund 20 Prozent der Wörter – zu konzentrieren und die Seiten quasi mit dem Auge zu „scannen“. Ein Fachbuch mit 300 Seiten lasse sich so in fünf bis acht Minuten lesen, sagen Verfechter des Konzepts. „Blödsinn“, sagt Marion Schultheiss, Trainerin für „Speed Reading“ – der etwas realistischeren Version obiger Methode. „In der Minute sind maximal 1000 Wörter möglich.“
Ihre Methode hingegen sei im Prüfungsstress empfehlenswert, sagt Schultheiss, die Seminare zum Thema „Speed Reading“ anbietet. „Gute Leser schaffen einen Text immerhin sechs Mal so schnell wie früher und können ihn sich dabei sogar besser merken.“ Der Grund: Das Gehirn sei bei raschem Lesen besser ausgelastet und beschäftige sich nicht mit anderen Dingen. Der Stoff könne so besser verarbeitet und gespeichert werden. Denn: „Wenn ich beim Lernen nicht konzentriert bin und eigentlich nur daran denke, ob ich zuhause die Kaffeemaschine ausgeschaltet habe, merke ich mir gar nichts“, sagt Schultheiss. Funktionieren würde „Speed Reading“ übrigens nicht mit jedem Buch. „Wer als Germanist glaubt, auf diese Weise ohne Vorbildung ein Gesetzbuch lernen zu können, wird hoffnungslos scheitern.“
Werner Stangl, der an der Johannes Kepler Universität in Linz Lernpsychologie unterrichtet, hält generell wenig von Blocklernen und Schnelllesen: „All diese Methoden versprechen das Blaue vom Himmel, scheitern aber meist an der Realität.“ Was aber rät er Studenten, denen die Zeit zu knapp wird? „Gar nichts. Für gute Tipps ist es kurz vor einer Prüfung zu spät“, sagt Stangl. „In einer Stress- oder Paniksituation lassen sich Lerngewohnheiten nicht mehr umstellen.“
Der einzige Ausweg, der bleibt: Schadensbegrenzung betreiben. „Es gibt zwei tödliche Erfindungen für jeden Studenten. Den Textmarker und den Kopierer“, sagt Stangl. Von beiden solle man die Finger lassen. „Wer einen Text markiert, lernt einen geraden Strich, sonst gar nichts. Aus psychologischer Sicht streiche ich zudem etwas durch, das ich noch gar nicht erledigt habe“, sagt Stangl. Schultheiss stimmt ihm zu: 90 Prozent eines Buches gelb anzumalen, um dann mit grün und rosa noch einmal drüberzugehen, nenne man „Rumschmieren, aber nicht Lernen“. Besser: Sich einen Überblick über die Struktur des Textes verschaffen, ihn lesen und verstehen – dann erst sind Randnotizen oder Exzerpte sinnvoll. Letztere solle man übrigens immer selbst anfertigen und nicht von Kollegen übernehmen. „Fremde Skripten entsprechen nicht der eigenen Gedankenstruktur“, sagt Stangl.
Wichtig, um in den letzten Tagen vor einer Prüfung die Nerven zu behalten: „Prioritäten setzen, einen Lernplan erstellen und vor allem Pausen einrechnen“, sagt Stangl. „Wer mehrere Stunden am Stück lernt, erzielt sogar schlechtere Ergebnisse.“ Auch mehr als vier Stunden pro Tag zu lernen sei kontraproduktiv. Nur durch Pausen könne das Gehirn das Gelesene verarbeiten und ins Langzeitgedächtnis übernehmen.
Stangls bester Tipp jedoch wird wohl ungehört verhallen – und erinnert an die gute alte Schulzeit: „Das nächste Mal einfach früher zu lernen beginnen.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.01.2009)
http://diepresse.com/home/bildung/unilive/444909/index.do (09-01-17)
In einer Reaktion auf diesen Presse-Artikel schreibt Alexander Hetzel am 20.01.2009 um 11:11 Uhr in seinem Weblog:
„Doch Lernen auf den letzten Drücker sei kritisch. Lerntipps würden nicht mehr helfen, da man in der kurzen Zeit seine Lerngewohnheiten nicht mehr umstellen könne, so Werner Stangl, der berühmte Lernpsychologe. Textmarker und Kopierer seien der erste Schritt Richtung Misserfolg, diese würden eine intensive Bearbeitung des Textes nur vorgaukeln, jedoch keinen Erfolg versprechen. „Wer einen Text markiert, lernt einen geraden Strich, sonst gar nichts. Aus psychologischer Sicht streiche ich zudem etwas durch, das ich noch gar nicht erledigt habe“, so Stangl weiter.
Diese Ansicht halte ich für verfehlt. Wichtig ist der richtige Umgang sowohl mit Lerntipps als auch mit Textmarkern. Kurz vor den Prüfungen lohnt es sicher nicht, sich aufwändige Mnemonic-Techniken beizubringen oder in 3 Tagen eine Entspannungstechnik zu erlernen. Aber Tipps, wie man Stress reduzieren, seine Konzentration erhöhen und Texte besser verstehen kann kommen nie zu spät. Sie sind sofort anwendbar und bringen sofort Erfolg.
(…)
Abschließend gibt Werner Stangl höchstpersönlich noch ein paar Tipps, falls es zeitlich eng wird mit dem Lernen:
Sich einen Überblick über die Struktur des Textes verschaffen, ihn lesen und verstehen – dann erst sind Randnotizen oder Exzerpte sinnvoll. Letztere solle man übrigens immer selbst anfertigen und nicht von Kollegen übernehmen. „Fremde Skripten entsprechen nicht der eigenen Gedankenstruktur“, sagt Stangl.
Wichtig, um in den letzten Tagen vor einer Prüfung die Nerven zu behalten: „Prioritäten setzen, einen Lernplan erstellen und vor allem Pausen einrechnen“, sagt Stangl. „Wer mehrere Stunden am Stück lernt, erzielt sogar schlechtere Ergebnisse.“ Auch mehr als vier Stunden pro Tag zu lernen sei kontraproduktiv. Nur durch Pausen könne das Gehirn das Gelesene verarbeiten und ins Langzeitgedächtnis übernehmen.
Alles in allem ein guter Artikel, der das Lernen auf den letzten Drücker kritisch beleuchtet, jedoch leider zu keinem Ergebnis kommt. Das muss dann jeder Student wohl für sich selbst ausmachen.“